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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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damals gekannt.
    Frank hörte abrupt auf zu spielen. »Hey, Smudge«, rief er. Clem und Smudge sahen auf. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Mädchen war unverkennbar und beschränkte sich nicht nur auf ihre im selben Ton lackierten Nägel und ihre Haarfarbe. Auch der Ausdruck auf ihren Gesichtern war derselbe. Sie könnten Schwestern sein – Clems zierlicher Körperbau ließ den Altersunterschied zwischen ihnen weniger groß erscheinen.
    »Wie wär’s mit einer kleinen Show?«, schlug Frank vor.
    Johnny war durchaus bewusst, dass dies ein Versuch war, sie ein wenig aufzuheitern.
    Smudges Züge erhellten sich. »Ja! Ja!«, rief sie, rannte quer über das Deck ins Cockpit und flüsterte ihrem Vater etwas ins Ohr.
    Er flüsterte etwas zurück.
    »Ja! Au ja!«, rief sie. »Ich muss mein Kostüm anziehen!« Damit stürzte sie die Kombüsentreppe hinunter und knallte die Cockpittüren hinter sich zu.
    Frank legte seine Hand auf Johnnys Oberschenkel. »Bleibt bei uns. Ihr wollt nach Osten? Dann fahren wir eben nach Osten. Wir schippern einfach durch den Suezkanal und dann weiter bis zum Indischen Ozean.«
    Wann immer Frank solche Dinge sagte, erschien es Johnny ausgeschlossen, sie an Bord zurückzulassen. Es wäre komplett schwachsinnig, ein solches Angebot abzuschlagen. Trotzdem würden sie es tun. Sie mussten ihren Weg allein fortsetzen. Er und Clem wussten es beide. Sie waren sich einig. Aber der Reiz, an Bord zu bleiben, war gewaltig. Es war, als befände er sich mitten in einer Art Metamorphose, einer Verwandlung, die, wenn sie Annie und Frank jetzt verließen, unvollständig bliebe. Er sah es klar und deutlich vor sich – sein altes Leben, in seliger Unkenntnis gelebt, und sein neues Leben, wo sich ihm ein Wunder nach dem anderen eröffnete. Es war lediglich eine Frage der Bereitschaft, den Schritt in die Ungewissheit zu wagen.
    »Manchmal muss man ein Risiko eingehen, wenn man etwas wirklich Bedeutendes gewinnen will«, erklärte Frank. Seine dunklen Augen schienen sich bis in sein Innerstes zu bohren und wie in einem offenen Buch in ihm zu lesen, während die Spitze seiner Zigarette dunkelorange aufglühte, als er voller Leidenschaft daran zog. Annie, die neben Frank saß, warf ihm einen Blick zu. Er sah ihr an, wie sehr sie sich wünschte, dass sie blieben. »In dem Augenblick, wenn man seine Entscheidungen spontan aus dem Bauch heraus trifft, ergibt sich alles von ganz allein, ganz mühelos, Johnny. Versuch nicht, eine Lösung zu erzwingen. Dieser Moment, wie du ihn jetzt erlebst, ist so, wie er sein soll. Er ist das Ergebnis all deiner bisherigen Entscheidungen«, sagte Frank mit kaum hörbarer Stimme.
    Johnny versuchte, den Moment zu erspüren, so wie er in dieser Sekunde war, und es fühlte sich richtig an. Er lächelte und sah zu, wie Annie das gerupfte Huhn in den mit Meerwasser gefüllten Eimer warf und es wusch, ehe sie sich die Hände an einem Geschirrtuch abtrocknete. Er starrte den Kadaver an, der, weiß, nackt, ohne die schützenden Federn, wie das Skrotum eines alten Mannes aus dem Wasser ragte.
    In diesem Augenblick öffneten sich die Cockpittüren einen Spaltbreit, und Smudges Nase erschien. »Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein!«, rief sie, ehe sie die Türen wieder zuzog.
    Clem legte ihr Buch beiseite und setzte sich neben Johnny, der ihre Hand nahm. Sie wehrte sich nicht dagegen. Alles war in Ordnung zwischen ihnen. Alles würde wieder in Ordnung kommen. Der Abend zuvor war lediglich ein Schock für sie beide gewesen.
    Smudge warf sich in Pose. Sie trug eines von Annies rosafarbenen Rüschenhöschen, einen dazu passenden BH, den sie mit Socken ausgestopft hatte, und ein Paar viel zu großer Schuhe mit hohem Absatz. Sie sah zum Schreien komisch aus, nicht zuletzt wegen der konzentrierten Ernsthaftigkeit, mit der sie zu Werke ging. Johnny hatte Mühe, nicht laut loszulachen.
    Frank begann zu spielen. Johnny konnte kaum mehr an sich halten, doch Smudge schien sich vom Gelächter ihres Publikums nicht im Mindesten irritieren zu lassen. Stattdessen hob sie provokant eine Braue und begann, die Hüften im Takt mit der Musik zu wiegen. Die Knie leicht gebeugt, sodass ihr Hinterteil nach hinten ragte und ihrem Publikum Einblick in ihr Socken-Dekolleté gewährt wurde, legte sie den Kopf in den Nacken und schürzte die Lippen zu einem Kuss.
    »I wanna be loved by you …«, sang sie mit der atemlosen Sinnlichkeit einer Marilyn Monroe. Und sie machte ihre Sache ganz

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