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Die stillen Wasser des Todes - Roman

Die stillen Wasser des Todes - Roman

Titel: Die stillen Wasser des Todes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Raum hatte er seine Werkstatt, ein Feldbett, einen Holzofen, einen Campingkocher, eine einfache Toilette und eine Dusche. Mehr brauchte er nicht. Seinem Mitbewohner Finn jedoch, vermutete Kieran, wäre es wohl lieber gewesen, wenn er gleich von der Haustür aus in den Park hätte laufen können, ohne dass Kieran ihn in seinem Motorboot, das an seinem eigenen kleinen Schwimmdock festgemacht war, oder im Ruderboot des Nachbarn von der Insel ans Ufer schippern musste.
    Aber Finn war ja nicht gefragt worden. Sicherlich hätte er die Strecke auch schwimmen können – als Labrador Retriever lag ihm das schließlich im Blut –, aber Kieran hatte ihn so erzogen, dass er ohne Erlaubnis nicht ins Wasser ging. Sonst hätte Kieran ihn, wenn er wie jeden Morgen auf der Themse ruderte, nie allein zurücklassen können, weil dann unweigerlich irgendwann ein großer schwarzer Hund in seinem Kielwasser gepaddelt wäre.
    Wie fast jeden Morgen, verbesserte sich Kieran, als es erneut donnerte. Bei Gewitter ging er nicht aufs Wasser. Wieder rüttelte eine Bö an seinem Bootsschuppen, und die Fensterscheiben klirrten im Chor. Unwillkürlich zuckte er zusammen – und spürte einen brennenden Schmerz in der Hand. Er sah hinunter und entdeckte einen Blutstropfen auf dem feinen Sandpapier, mit dem er gerade eine mit Epoxidharz ausgebesserte Stelle am Rumpf des alten Aylings-Zweiers abschmirgelte, den er kieloben aufgebockt hatte. Jetzt hatte er sich glatt die eigenen Knöchel abgeschmirgelt. Mist. Seine Hände zitterten wieder.
    Finn winselte und stupste Kierans Knie mit seiner stumpfen Schnauze an. Wieder tat es einen Donnerschlag, und der ganze Schuppen erbebte wie eine Pauke. Oder wie unter Artilleriesperrfeuer.
    »Ist nur der Regen, Junge.« Kieran hörte das Zittern in seiner Stimme und verzog angewidert das Gesicht. Musste ja sehr beruhigend wirken, wenn er selber schwitzte und zitterte wie Espenlaub. Erbärmlich. Er zwang sich, seine Hand stillzuhalten, faltete das Schmirgelpapier zusammen und legte es auf seine Werkbank.
    Aber während die Hand ihm gerade noch gehorchte, hatte er keine Kontrolle mehr über seine Knie. Als sie einzuknicken drohten, wankte er zwei Schritte auf die Wand zu, lehnte sich mit dem Rücken daran und rutschte nach unten. Er hatte das Gefühl, als ob die Luft selbst ein enormes Gewicht wäre, das auf ihm lastete und seine Lunge zusammendrückte. Finn stieß ihn mit der Schnauze an und kletterte ihm halb auf den Schoß, und als Kieran die Arme um den Hund schlang, konnte er nicht sagen, ob das Winseln von Finn oder von ihm selbst kam. »Tut mir leid, Junge, tut mir leid«, flüsterte er. »Es wird schon wieder. Wir schaffen das schon. Ist doch bloß ein bisschen Regen.«
    Er sagte sich noch einmal die rationale Erklärung für sein körperliches Leiden vor. Schädigung des Mittelohrs, verursacht durch Geschützfeuer. Plötzliche Luftdruckschwankungen können den Gleichgewichtssinn beeinträchtigen. Er kannte den Spruch schon auswendig.
    Das hatten die Militärärzte ihm damals gesagt – als ob er es nicht schon selbst gewusst hätte. Sie hatten ihm auch gesagt, dass er eine schwere Gehirnerschütterung erlitten habe und dass auch sein Gehör beeinträchtigt sei. »Nicht genug«, sagte er laut und lachte ein wenig hysterisch über seinen eigenen schwarzen Humor. Finn leckte ihm das Kinn ab, und Kieran drückte ihn noch fester an sich. »Es geht vorbei«, flüsterte er, um den Hund ebenso wie sich selbst zu beruhigen.
    Das Zimmer drehte sich um ihn, und auf den Schwindel folgte eine Welle von Übelkeit, so heftig, dass er krampfhaft schlucken musste, um sich nicht zu übergeben. Auch das hatte mit seinem Mittelohr zu tun, so hatten sie es ihm jedenfalls erklärt. Eher lästig als wirklich gefährlich, hatten sie gemeint. Er rutschte noch ein Stück an der Wand hinunter, und Finn verlagerte den Rest seiner fünfunddreißig Kilo Lebendgewicht auf Kierans Schoß.
    So lästig, zusammen mit dem Zittern und den Schweißausbrüchen und dem Schreien im Schlaf, dass sie ihn entlassen hatten. Bye-bye, Sanitätssoldat Erster Klasse Kieran Connolly, da haben Sie Ihren Orden und Ihre hübsche Pension. Von der Pension hatte er sich den Bootsschuppen gekauft.
    Als Teenager hatte er in Henley gerudert, in der Mannschaft des Lea. Einem Jungen aus Tottenham, der rein zufällig auf den Lea Rowing Club gestoßen war, musste Henley wie das Paradies vorkommen.
    Damals hatte er bei seinem Vater gelebt. Seine Mutter hatte sich

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