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Die stillen Wasser des Todes - Roman

Die stillen Wasser des Todes - Roman

Titel: Die stillen Wasser des Todes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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aus dem Staub gemacht, als Kieran noch ein Baby war, doch das war ein Thema, über das sein Vater niemals sprach. Sie wohnten in einer Reihenhaussiedlung, die sich mit Müh und Not noch einen bürgerlichen Anstrich gab. Sein Vater hatte dort in der Werkstatt unter der Wohnung Möbel repariert und gebaut. Als weißer Jugendlicher irischer Abstammung hatte Kieran in diesem Teil von Nordlondon zu einer Minderheit gehört, und bald war er auf dem besten Weg zu einer Karriere als Kleinkrimineller gewesen.
    Kieran tätschelte Finns warme Schnauze und schloss die Augen, während er versuchte, die aufkommende Panik mit Hilfe der Erinnerung zu unterdrücken, wie es der Therapeut beim Militär ihm beigebracht hatte.
    Es war ein heißer Tag gewesen, jener Samstag im Juni vor so langer Zeit, kurz nach seinem vierzehnten Geburtstag. Er hatte als Mutprobe ein Fahrrad gestohlen und war mit pochendem Herzen in wilder Flucht durch die Straßen von Tottenham gehetzt, bis hinunter zu dem Weg, der das Ufer des River Lea säumte. Und dann, als er sicher war, seine Verfolger abgehängt zu haben, als seine Beine brannten und die Sonne ihm auf den Kopf knallte, hatte er die Skiffs auf dem Wasser gesehen.
    Die Geräusche des Gewitters schwanden aus seinem Bewusstsein, je tiefer er in die Erinnerung eintauchte.
    Er war stehengeblieben und hatte aufs Wasser hinausgestarrt, jeder Gedanke an Verfolgung und Strafe augenblicklich vergessen. Die Boote waren Stille in Bewegung, wie sie über die quecksilbrig glitzernde Wasserfläche glitten, elegant wie Libellen; und der Anblick hatte etwas in ihm angerührt und nicht mehr losgelassen, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass es in ihm war.
    Den ganzen Nachmittag hatte er ihnen zugeschaut, und in der Abenddämmerung war er langsam nach Tottenham zurückgeradelt und hatte das Rad zurückgegeben, ohne auf den Spott seiner Freunde zu achten. Am nächsten Samstag war er wieder zum Fluss gegangen, angezogen von etwas, das er nicht in Worte fassen konnte, von einer Sehnsucht, die bis dahin nur ein Schemen an den verschwommenen Rändern seiner Fantasie gewesen war.
    Noch ein Samstag und noch einer. Er erfuhr, dass es sich um den Lea Rowing Club handelte, und bald kannte er auch schon die Namen der Boote: Einer oder Skiffs, Zweier und Doppelzweier, Vierer und Doppelvierer, und die Achter. Ließen die Einer ihn an Libellen denken, so waren die Achter wie Rieseninsekten, die sich in einem zugleich fremdartigen und vertrauten Rhythmus bewegten und ihn an die Bilder von römischen Galeeren in seinen Schul-Geschichtsbüchern erinnerten.
    Und sie hatten ihn angesprochen, die Ruderer, als sie sahen, wie er am Ufer herumschlich. Schon damals war er hoch aufgeschossen. Linkisch und dürr, mit schwarzen Haaren und blasser Haut – selbst im Hochsommer; alles in allem keine besonders ansprechende Erscheinung. Aber – auch wenn ihm das damals noch nicht klar gewesen war – allein seine Größe machte ihn für den Rudersport interessant, und sie hatten versucht, sein Potenzial einzuschätzen.
    Nach einiger Zeit hatten sie ihn mit anpacken lassen, wenn es galt, die Boote auf die Anhänger zu laden oder sie auf die Ständer zu heben, die auf dem Bootsplatz auf sie warteten wie Wiegen, in denen sie zur Ruhe gebettet wurden. Eines Tages hatte ein Mann ihm einen Lappen zugeworfen und mit dem Kopf auf ein tropfnasses Skiff gedeutet. »Kannst es abwischen, wenn du magst«, hatte er gesagt. An einem anderen Tag war es vielleicht ein Schraubenschlüssel, um die Trimmung zu justieren; Öl für die Rollschienen des Sitzes oder Füller für die Reparatur von Dellen in einem GFK -Rumpf.
    Im August jenes Jahres hatte er es schon zum Mädchen für alles im Club gebracht. Seine Kumpels waren längst vergessen, die öde Reihenhaussiedlung völlig verdrängt vom Fluss. Er erfuhr, dass der breitschultrige Mann, der ihm die Aufgaben zuwies, ein Trainer war. Und als dieser Trainer ihm eines Tages direkt in die Augen sah und ihm ein Paar Skulls in die Hand drückte, da schien ihm plötzlich die ganze Welt offenzustehen, und Kieran Connolly erkannte, dass vielleicht noch etwas anderes in ihm steckte als ein mittelloser irischer Junge ohne Zukunft.
    Der Lea – und das Rudern – hatten ihm diese Chance eröffnet. Sein Trainer hatte ihm geraten, zum Militär zu gehen. So könne er rudern, hatte er gesagt, und gleichzeitig etwas Gescheites lernen. Und das hatte er getan. Er hatte sich zum Sanitäter ausbilden lassen und im Achter wie

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