Die stillen Wasser des Todes - Roman
Freddie. »Was schauen Sie sich da an?«, fragte er, während er ihm den Becher reichte.
»Die hat sie auch aufgehoben. Ich hatte ja keine Ahnung. Ich habe einen Stift gesucht, und da fand ich sie hinten in der Schreibtischschublade.« Er drehte die Fotos eins nach dem anderen so, dass Kincaid sie sehen konnte.
Auf allen erkannte Kincaid einen wesentlich jüngeren Freddie im Ruderdress von Oxford. Mehrere Aufnahmen zeigten ihn auf der Steuerbordseite eines Achters, das Gesicht vor übermenschlicher Anstrengung verzerrt. Auf anderen war er offenbar bei Partys oder Feiern nach einem Rennen zu sehen. Eines dieser Fotos zeigte eine viel jüngere Rebecca, die eine Flasche Champagner über Freddies Kopf ausleerte. Beide lachten.
Freddie griff nach diesem Foto und fuhr mit dem Finger darüber. »Das war das zweite Jahr, in dem ich im Blue Boat ruderte«, sagte er. »Wir hatten uns gerade verlobt. Es war natürlich Ross, der Becca zu der Champagner-Aktion angestiftet hatte.«
»Ross?«
»Mein Kumpel, der mich zu –« Er stockte, trank einen Schluck von seinem Tee. »Zum Leichenschauhaus gefahren hat«, fuhr er fort. »Wir waren alle zusammen auf der Uni, Becca und ich und Ross und seine Frau Chris.«
Freddie deutete mit dem Kopf auf ein gerahmtes Foto der gleichen Boat-Race-Crew, das in Beccas Bücherregal stand. »Sehen Sie, das ist er. Das Foto wurde unmittelbar vor dem Rennen gemacht. Ross war in letzter Minute von der Isis, dem zweiten Boot, ins Blue Boat gekommen.«
Kincaid sah einen stämmigen jungen Mann, lächelnd wie auch der Rest der Crew – mit einer Mischung aus Stolz und Nervosität. »Ich dachte, der Champagner wäre vielleicht zur Feier des Sieges beim Boat Race geflossen.«
»Nicht für die Verlierer-Crew. In diesem Jahr war unser Boot um ein Haar vollgelaufen. Wir hätten alle ersaufen können. Ich glaube, dass Becca – ich weiß nicht. Danach war irgendwie nichts mehr wie früher. Vielleicht war ich dadurch in ihren Augen als Verlierer gebrandmarkt.«
»Es war doch nur ein Rennen«, meinte Kincaid.
Freddie starrte ihn entgeistert an. »Es war das Boat Race . Nichts, was danach noch kommt, kann da je heranreichen, egal, ob man gewinnt oder verliert. Aber Becca – Becca wollte, dass ich gewinne, sogar noch mehr als ich selbst.«
»War sie eifersüchtig auf Sie, weil Sie diese einmalige Chance hatten?«, fragte Kincaid, der an all das dachte, was er über Rebecca Meredith erfahren hatte. »Das war doch die eine Sache, die ihr immer verwehrt geblieben war – beim Boat Race zu rudern.«
Freddies Augen weiteten sich vor Verblüffung. »Kann sein. Auf die Idee bin ich nie gekommen. Vielleicht war es ihr deswegen so wichtig.«
»Ihre Niederlage war auch Beccas Niederlage.«
»Sie hat es schwergenommen. Sie war nicht nur wütend, nicht nur enttäuscht. Sie war … verbittert.« Er zuckte mit den Achseln. »Das Leben ging weiter, wir haben geheiratet, haben getan, als ob alles noch so wäre wie vorher. Aber das war es nicht. Und dann – na ja, Sie wissen, was dann passiert ist.«
»Die Olympia-Qualifikation. Ihre Verletzung. Ihr Scheitern.«
Freddie nickte. »Ich habe damals nicht geglaubt, dass wir darüber hinwegkommen würden. Aber dann hat sie den Job bei der Polizei bekommen, wie Chris auch, und für eine Weile wurde es besser. Sie hat diese ganze besessene Energie in ihre Arbeit gesteckt. Aber da war immer eine Distanz zwischen uns, eine Mauer, die ich einfach nicht überwinden konnte.«
»Und so haben Sie schließlich anderswo Trost gesucht.« Kincaid sagte es ohne Vorwurf in der Stimme.
Freddie lächelte schief. »So kann man es wohl nennen. Aber es hat nie geholfen. Heute frage ich mich immer wieder, ob ich irgendetwas hätte tun können, um etwas daran zu ändern. Und ich werde es nie herausfinden.«
Er hatte recht. Kincaid konnte nichts Tröstendes erwidern. Und jetzt wusste er, dass die Dinge, die er irgendwann würde sagen müssen, nur Freddies Schuldgefühle verstärken würden.
Wenn Freddie und Becca zusammengeblieben wären, dann hätte Angus Craig vielleicht nie die Gelegenheit bekommen, Rebecca zu vergewaltigen. Und sie wäre vielleicht noch am Leben.
Kincaid blickte sich nachdenklich im Raum um. Als er am Dienstagabend zum ersten Mal hier gewesen war, da hatte er noch keine Ahnung gehabt, was sich hier abgespielt hatte.
Jetzt sah er vor seinem geistigen Auge die Tatortfotos aus Jenny Harts Wohnung, und er sah dieses Zimmer verwüstet, sah Rebecca, der Gewalt
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