Die stillen Wasser des Todes - Roman
Boden gewischt und sich mit einem übertriebenen »Mjam!« den Finger abgeleckt hatte, drückte er Charlotte das Fläschchen in die Hand.
»Was steht da?«, fragte er und zeigte auf Gemmas kleines handgeschriebenes Etikett.
»Trink mich«, flüsterte sie und schlang die Finger fest um das Glas.
»Da siehst du mal, was du schon für ein großes Mädchen bist mit deinen drei Jahren – du kannst sogar schon lesen!« Er drückte sie noch einmal und setzte sie ab. »Und jetzt lass uns die Torte probieren.«
Wesley und Kit hatten sie schon angeschnitten und begannen die Stücke zu verteilen, während Betty und Hazel Tee, Bowle und Glühwein ausschenkten, und bald unterhielten sich alle angeregt.
Nur Charlotte wollte partout keine Torte essen. Stattdessen ging sie mit ihrem kleinen Fläschchen herum, und jeder musste es ausgiebig bewundern.
Gemma fragte sich, ob Charlotte sich wohl an ihren letzten Geburtstag erinnerte; ob ihre Eltern ihr einen Kuchen gebacken und für sie gesungen hatten. Sie würde es nie erfahren – es sei denn, Sandra Gilles hätte es in ihren Tagebüchern oder auf Fotos festgehalten. Die aber wurden als Vermächtnis für Charlotte unter Verschluss gehalten, bis sie alt genug wäre, um etwas damit anfangen zu können.
Doch jetzt hatte Charlotte eine neue Familie, dachte Gemma, und sie würden sich nach und nach ihre eigenen Erinnerungen schaffen.
Hazel trat zu Gemma und nahm sie kurz in den Arm. »Fantastische Party.« Dann drehte sie ihre Freundin ein wenig zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr: »Sag mir bitte, ob ich unter Halluzinationen leide.«
Gemma folgte Hazels Blick und sah, wie Charlotte sich an Erns Knie lehnte. Gemmas Vater hielt ihr seine Teetasse hin, und Charlotte gab ein paar imaginäre Tropfen aus ihrem braunen Fläschchen hinein. Dann trank er einen Schluck, und Charlotte kicherte. Er duckte sich auf seinem Stuhl, als ob er schrumpfte, und diesmal reagierte Charlotte mit glockenhellem Lachen.
»Also, ich glaub’s einfach nicht«, murmelte Gemma, nachdem sie eine Weile mit offenem Mund gestarrt hatte. Mit ihr und Cyn hatte ihr Vater nie so gespielt – jedenfalls nicht, soweit sie sich erinnern konnte –, und auch nicht mit Toby oder mit Cyns Kindern. »Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«
Sie blickte sich nach Duncan um, weil sie ihn auch an diesem besonderen Moment teilhaben lassen wollte, doch er hatte sich mit Doug und Melody in die Küche zurückgezogen.
Als sie näher trat, bekam sie ein paar Fetzen ihres Gesprächs mit.
»… nichts«, sagte Doug gerade. »Falls eine DNS -Probe abgegeben wurde, war sie jedenfalls noch nicht im System, als ich heute Morgen zuletzt nachgeschaut habe.«
Sie redeten über Angus Craig.
Gemma verharrte an der Tür. Für einen kurzen Moment eifersüchtiger Sorge um ihre Lieben hätte sie zu gerne jeden Gedanken an Angus Craig und seine Verbrechen verbannt. Sie hätte am liebsten ihre Familie in der heilen Welt dieser vergangenen Stunde eingeschlossen wie in einer bunt schillernden Seifenblase und einfach so getan, als sei es eine uneinnehmbare Festung.
Aber so naiv war sie nicht.
»Ach ja«, sagte Doug. »Ich habe herausgefunden, was Rebecca Meredith am Freitagnachmittag letzte Woche getan hat. Heute Morgen habe ich endlich Kelly Patterson im Revier Dulwich erreicht.
Sie wollte zuerst nicht mit mir reden – was ich ihr auch nicht zum Vorwurf machen kann. Aber als ich nachfragte, meinte sie, es könne ja nicht schaden, wenn sie mir verriete, dass die Kollegin von der Sitte, die an dem Tag im Revier West London zu Besuch war, Chris Abbott hieß. Rebecca hatte sie als eine alte Studienfreundin vorgestellt. Ich bin noch nicht dazu gekommen –« Er brach ab, als Kincaid sein Handy aus der Jeanstasche zog.
»Sorry«, sagte Kincaid, »aber ich muss –« Dann hatte er das Telefon am Ohr und wandte sich ab, wobei er sich das andere Ohr zuhielt, um den Partylärm auszublenden.
Gemma sah ihn nicken, und sie nahm an, dass er noch irgendetwas erwiderte, ehe er das Gespräch beendete. Dann blieb er eine Weile mit dem Rücken zu ihnen stehen.
Als er sich wieder umdrehte, war er kreidebleich im Gesicht.
»Das war Denis«, sagte er. Er suchte Blickkontakt mit Gemma. »Angus Craigs Haus ist heute in den frühen Morgenstunden bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Sowohl er als auch seine Frau waren vermutlich zu Hause, als es passierte.«
22
Sie waren sich eines Morgens auf dem Fluss begegnet, als ihre Ruder um ein Haar in voller
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