Die stillen Wasser des Todes - Roman
winzige Küche.
Rechter Hand jedoch gingen von der Diele zwei Zimmer ab, die sich über die ganze Länge des Hauses erstreckten. Als sie das vordere Wohnzimmer betrat, sah sie, dass die Wand zwischen den beiden Räumen durchbrochen war, sodass das Licht durch das ganze Haus fiel. Hinten führte eine Terrassentür in den Garten.
»Oh«, hauchte sie überrascht. »Das ist ja wunderschön. Klein, aber wunderschön.«
Doug nickte und errötete erneut, offensichtlich hocherfreut über ihre Reaktion. »Oben gibt es noch ein richtiges Bad, und ich werde eines der Zimmer als Schlafzimmer und das andere als Arbeitszimmer benutzen. Die Küchenschränke und die Arbeitsflächen müssen erneuert werden. Und hier« – er wies mit besitzergreifender Geste auf den Wohn-Ess-Bereich – »kommt ein neuer Teppichboden rein, und streichen muss ich natürlich auch noch.«
»Das gedeckte Weiß sagt dir also nicht so zu?«, frotzelte Melody. Die Wände hatten die Farbe von geronnener Sahne, mit helleren Flecken an den Stellen, wo Bilder gehangen hatten. Die Kamineinfassungen im Wohnzimmer und im Esszimmer schienen original zu sein, doch die Kamine selbst waren mit Brettern vernagelt.
Doug schüttelte sich. »Nein. Und Grau kommt gar nicht in Frage. Von Grau habe ich für den Rest meines Lebens die Nase voll.«
»Du könntest die Farben der Buntglasfenster verwenden«, meinte Melody nachdenklich. »Bei diesem Licht würde das fantastisch aussehen. Und du musst Gaskaminöfen einbauen lassen.« Melody ging zur Terrassentür und sah hinaus. Von dort führten ein paar Stufen hinunter zu einem Oval aus zerbrochenen Steinplatten. Dahinter lag ein kleines, von Unkraut überwuchertes Rasenstück, auf drei Seiten gesäumt von verwahrlosten Blumenbeeten.
Melody, die sich durchaus hätte aussuchen können, wo sie wohnen wollte, wenn sie die Unterstützung ihres Vaters in Anspruch genommen hätte, verspürte einen Anflug von Neid. Nicht, dass ihre Eigentumswohnung in Notting Hill nicht in Ordnung gewesen wäre, abgesehen davon, dass sie sich überhaupt nicht wie ein Zuhause anfühlte. Zudem lag sie im obersten Stock des Gebäudes und hatte nur einen winzigen Balkon. Und Melody verspürte seit einer Weile das unvermutete Bedürfnis, sich die Hände schmutzig zu machen und frisches Grün zu riechen.
»Ich könnte dir mit dem Garten helfen, wenn du magst«, bot sie ein wenig zögerlich an, indem sie sich zu ihm umdrehte. »Im Frühjahr.«
»Hast du überhaupt schon jemals Gartenarbeit gemacht?« Dougs Stimme hatte einen leicht spöttischen Unterton.
»Ich verstehe wahrscheinlich mehr vom Gärtnern als du vom Anstreichen und von Sanitärinstallation«, erwiderte sie gleichmütig. »Als kleines Mädchen bin ich dem Gärtner meiner Großeltern in Buckinghamshire auf Schritt und Tritt gefolgt. Das kann doch nicht so schwer sein – düngen und Blumenzwiebeln setzen und so.« Sie sah ihn prüfend an. »Was ist mit dir? Du bist doch in St. Alban’s aufgewachsen, nicht wahr? Die Vorstadtidylle par excellence. Ihr hattet doch mit Sicherheit einen Garten.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ich bin mit acht ins Internat gekommen und durfte immer nur in den Ferien nach Hause. Mein Vater hat samstags immer den Rasen gemäht. Das war seine Art, sich zu entspannen, und daran ließ er auch niemanden sonst teilhaben.«
Melody wusste, dass Doug wie sie selbst ein Einzelkind war. Sein Vater, ein Rechtsanwalt, stammte aus einer wohlhabenden Familie und hatte Doug bereits vor dessen Geburt in Eton angemeldet. Aber wenngleich Melodys Vater sie mit seiner selbstherrlichen und sturen Art oft auf die Palme brachte, hatten er und Melodys Mutter ihr doch immer genügend Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet.
Plötzlich tauchte ein Bild von Doug als einsamer, linkischer Junge vor ihrem geistigen Auge auf, mit einem Vater, der seinem kleinen Sohn nicht einmal das Vergnügen gegönnt hatte auszuprobieren, wie man einen Rasenmäher betätigt.
Um zu verhindern, dass er das Mitgefühl in ihrer Miene las, wandte sie sich zum Kamin um und wischte mit der Fingerspitze den Staub vom Sims. »Wenn du mit dem Umzug fertig bist, musst du uns alle zum Essen einladen«, sagte sie.
»Ich hab gar keinen Tisch. Und wahrscheinlich bis auf weiteres auch sonst nicht viel. Das Einzige, was ich aus der Wohnung in Euston mitnehme, ist das Bett und meine Musikanlage.«
Dazu wären Melody spontan verschiedene Kommentare eingefallen, aber keiner schien ihr angemessen, und sie hatte das Gefühl,
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