Die stillen Wasser des Todes - Roman
einen einsamen Ruderer gesehen, der mühsam gegen die Strömung angekämpft hatte, und es war ihr nicht gelungen, sich Doug keuchend und schnaufend im verschwitzten Ruderdress vorzustellen. Die anstrengendste Tätigkeit, bei der sie ihn je beobachtet hatte, war das Einhacken auf eine Computertastatur.
»Beim Anstreichen macht mir so schnell keiner was vor«, sagte er, und er klang ein wenig gereizt. »Und was den Rest betrifft, da gibt’s doch haufenweise Bücher und natürlich das Internet …«
Melody bezweifelte nicht, dass Doug in der Lage wäre, sich Anleitungen für die Renovierung zu beschaffen – im Recherchieren konnte er ihr durchaus das Wasser reichen –, aber ob er auch das entsprechende handwerkliche Geschick hatte, wusste sie nicht zu sagen. Über Rohrzangen zu lesen und tatsächlich mit einer umzugehen, waren ganz verschiedene Paar Schuhe, zumindest nach ihrer bescheidenen Erfahrung. Sie war selbst auch nicht gerade die geborene Heimwerkerin.
»Ich würde dich gerne mal in deinem Handwerker-Overall sehen.« Sie grinste und hängte sich bei ihm ein, wofür sie einen verblüfften Blick erntete. »Na los, jetzt will ich auch was sehen für mein Geld.« Ein Windstoß fuhr durch die ruhige Wohnstraße, wirbelte das braune Laub in den Rinnsteinen auf und zerzauste die Haare in Melodys Nacken. Zwar versperrten die Reihenhäuser den Blick auf die Themse im Norden, aber dennoch waren sie hier so nahe am Fluss, dass Melody seinen feuchten, erdigen Geruch wahrzunehmen glaubte.
Als sie Dougs Arm losließ, um den Kragen ihrer Jacke hochzuschlagen, hätte sie schwören können, dass ein Ausdruck der Erleichterung über seine Züge huschte.
Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie ihn so aufgezogen hatte. Sie wusste, dass ihm zu viel Körperkontakt unangenehm war, und sie selbst war in dieser Hinsicht sonst auch eher zurückhaltend. Aber irgendetwas schien sie heute zu reizen, seine Grenzen auszutesten.
In den letzten paar Monaten hatte sich zwischen ihnen eine eigenartige Freundschaft entwickelt, und sie hatte den Verdacht, dass sie beide auf diesem Gebiet recht unerfahren waren. Ja, sie fragte sich, ob ihm vielleicht niemand sonst eingefallen war, mit dem er die Begeisterung über sein neues Heim hätte teilen können.
Melody war schon immer sehr vorsichtig gewesen, wenn es um Beziehungen ging. Als junges Mädchen hatte sie sich nie sicher sein können, ob jemand sie um ihrer selbst willen mochte oder sich nur wegen ihres Vaters an sie heranmachte. Und später, nachdem sie bei der Polizei angefangen hatte, wollte sie niemanden zu nahe an sich heranlassen, weil sie fürchtete, gerade wegen ihres Vaters abgelehntzu werden.
Doch Gemma hatte die Wahrheit erfahren, ebenso wie Doug Cullen, und anschließend war Melody zu Duncan gegangen. Zwar arbeitete sie nicht direkt mit ihm zusammen, doch sie war mit Gemma und dadurch auch irgendwie mit Duncan befreundet, und allein deshalb war sie ihm mehr als anderen Vorgesetzten zur Offenheit verpflichtet.
Nachdem Duncan sich ihre Geschichte angehört hatte, musterte er sie mit prüfendem Blick und nickte einmal. »Ihre Familie geht niemanden etwas an«, hatte er gesagt, »solange Sie sie nicht selbst zum Thema machen.« Und dabei hatte er es bewenden lassen. Für Melody war es wie eine Offenbarung gewesen, und sie hatte zum ersten Mal das Gefühl gehabt, einfach sie selbst sein zu können. Und auch ihr Verhältnis zu Doug Cullen hatte sich daraufhin auf undefinierbare Weise gewandelt.
»Es ist eigentlich nur ein normales Reihenhäuschen«, sagte Doug, während er vor ihr die Stufen zur Haustür hinaufstieg. »Aber es hat einen Garten.«
Trotz des maroden Rahmens wies die Tür hübsche viktorianische Buntglasscheiben in Blassgrün und Gold auf. Als sie eintraten und Doug die Tür hinter ihnen schloss, fiel das diffuse Tageslicht durch die Scheiben, und der Effekt erinnerte Melody an das Licht in einem Frühlingswald. Der ursprüngliche schwarz-weiße Fliesenboden war noch intakt, und eine Treppe führte von der Diele hinauf ins Obergeschoss, wo Melody die Schlafzimmer vermutete.
Doug forderte sie mit einer kleinen theatralischen Verbeugung auf weiterzugehen. Das Licht, das durch die Buntglasscheiben fiel, funkelte auf seiner Brille und verlieh seinem blonden Haar eine grünliche Färbung. »Mein bescheidenes Heim.«
Links hinter der Treppe sah Melody einen Schrank und in dem Winkel daneben eine kleine Toilette. Dahinter führte eine weitere Tür in eine
Weitere Kostenlose Bücher