Die stillen Wasser des Todes - Roman
in Ihrem Zuständigkeitsbereich die Leiche einer Met-Beamtin gefunden wird?«
Cullen hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, ich würde mich wohl nicht gerade vor Begeisterung überschlagen.«
Jetzt sagte Cullen: »Fahren Sie weiter bis zum Ende der Sackgasse. Auf der Wiese dahinter werden immer die Zuschauertribünen für die Regatta aufgebaut, aber zurzeit wird sie wohl nicht benutzt. Der Club ist da links.«
Als Kincaid den Astra an der bezeichneten Stelle geparkt hatte und ausstieg, sah er, dass das Gebäude deswegen so dunkel gewirkt hatte, weil es von einer hohen Backsteinmauer vor neugierigen Blicken geschützt wurde. Über der Mauer erblickte er ein mit roten Ziegeln gedecktes Giebeldach und darunter weißes, mit Kieselrauputz ausgefülltes Rahmenwerk. In zahlreichen Fenstern der oberen Stockwerke schimmerte Licht. Durch einen Torbogen in der Mauer gelangte man in einen Innenhof.
Kincaid streifte den Backstein mit den Fingern, als sie hindurchgingen. »Ein Keuschheitsgürtel für eine edwardianische Adelswitwe?«, scherzte er.
»Das ist der Leander «, protestierte Doug, als hätte Kincaid gerade das Allerheiligste beleidigt. »Und es ist gar nicht so altmodisch. Das Gebäude wurde Ende der Neunzigerjahre komplett renoviert.«
Das machte es immer noch nicht zu einem architektonischen Juwel, dachte sich Kincaid, behielt seine Einschätzung jedoch für sich. »Sie sind also hier gerudert?«
» O nein.« Doug wirkte schockiert. »Ich wollte sagen, ich war nie Mitglied im Leander-Club. Aber ich habe an Regatten hier in Henley teilgenommen, als ich auf dem Internat war.« Bei dem so beiläufig erwähnten Internat handelte es sich in Dougs Fall um Eton – was er in Polizeikreisen jedoch so gut wie nie zugab.
»Und an der Uni?«, fragte Kincaid nach.
»Nein.« Doug schüttelte den Kopf. Inzwischen waren sie an einer Glastür angelangt, die durch ein Vordach mit kannelierten Säulen geschützt wurde. »Ich war nicht gut genug. Zu groß für einen Steuermann, zu klein, um beim Rudern wirkliche Spitzenleistungen zu bringen.«
Kincaid öffnete die Tür, und sie betraten eine Eingangshalle, die deutlich eleganter war als die Außenseite des Gebäudes. Der Blickfang der Inneneinrichtung war ein Couchtisch mit einer Glasplatte und einem Sockel aus Bronze in Form eines Nilpferds.
Zur Rechten befand sich ein mit Glas abgetrennter, sehr nüchtern eingerichteter Bürobereich, in dem noch Licht brannte. Eine junge Frau, die an einem der Schreibtische saß, entdeckte die Besucher, worauf sie sich erhob, zu ihnen herauskam und sie fragend ansah. Sie trug eine blassrosa Bluse und einen marineblauen Rock, und Kincaid wurde plötzlich bewusst, dass er noch die gleichen Sachen trug, in denen er morgens mit den Kindern gespielt und später durch regennasse Wiesen marschiert war. Wie ein seriöser Polizeibeamter sah er wohl nicht gerade aus.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte sie.
Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, zog das Etui mit seinem Dienstausweis aus der Tasche und lächelte. »Duncan Kincaid. Detective Superintendent, Scotland Yard. Und das ist Sergeant Cullen. Es gab da heute einen Vorfall –«
»Becca?«, unterbrach ihn die junge Frau. Sie hob die Hand, und ihre Finger streiften ihr Schlüsselbein in einer unwillkürlichen Geste des Schocks. »Geht es ihr gut? Die Polizei war hier, und auch die Leute mit den Hunden, aber niemand hat uns irgendetwas gesagt.«
»Ich würde gerne mit dem Trainer sprechen, der sie gestern gesehen hat, als sie auf den Fluss hinausgerudert ist«, sagte Kincaid, um der Frage möglichst behutsam auszuweichen. Es kursierten gewiss schon Gerüchte, doch er wollte die Nachricht zuerst denjenigen überbringen, die Rebecca Meredith am besten gekannt hatten. »Mr. –«
»Jachym. Milo Jachym«, sprang Cullen ihm bei. Er musste dafür nicht einmal in seinen Notizen nachsehen.
»Ich – ich glaube, er ist in der Members’ Bar«, antwortete die junge Frau. »Ich bringe Sie nach oben.« Sie ging auf eine Treppe zu, die zu einem Zwischengeschoss zu führen schien, und drehte sich dann noch einmal um. »Übrigens, ich bin Lily Meyberg, die Empfangschefin.« Sie streckte eine schmale Hand aus, und als Kincaid sie ergriff, registrierte er die Schwielen an ihrem Handteller und ihren kräftigen Griff. Eine Ruderin?, fragte er sich. Und wenn ja, hatte sie dann vielleicht das Opfer mehr als nur flüchtig gekannt?
Er folgte ihr und bemerkte im Vorbeigehen eine Vitrine mit
Weitere Kostenlose Bücher