Die stillen Wasser des Todes - Roman
einatmete. Kincaid, der mit dem Rücken zu der gläsernen Trennwand saß, konnte die neugierigen Blicke der Kollegen im CID -Büro spüren, und er hatte ein Gefühl, als ob ihm jemand ein Loch zwischen die Schulterblätter bohrte.
Cullen schob seine Brille hoch, während Gaskill Kincaids Blick auswich und damit die Spannung des Augenblicks löste. »Das ist entsetzlich, Superintendent«, sagte er. »Wirklich entsetzlich. Wenn Sie recht haben, muss diese Person dafür zur Rechenschaft gezogen werden.«
Da war es schon wieder. Die Worte schienen der Situation angemessen, doch darunter verbarg sich ein herablassender Unterton. Wenn Sie recht haben , hatte Gaskill gesagt.
»Hat sie an irgendetwas gearbeitet, womit sie jemandem einen Grund hätte liefern können, ihr nach dem Leben zu trachten?«, fragte Cullen. Es kam durchaus vor, dass Polizeibeamte Racheakten zum Opfer fielen, und es war eine Möglichkeit, die sie in Betracht ziehen mussten.
»Eine Serie von Messerstechereien unter Jugendlichen in einer Sozialsiedlung«, antwortete Gaskill in wegwerfendem Ton. »Diese Typen wissen wahrscheinlich gar nicht, wo Henley liegt, geschweige denn, wie sie dort hinkommen sollten oder wie man ein Ruderboot zum Kentern bringt.«
Aber so leicht ließ Cullen sich nicht abspeisen. »Was ist mit ihrem Rudertraining? Soviel ich weiß, hatte sie regelmäßig früher Dienstschluss gemacht. Hat das ihre Leistungen in irgendeiner Weise beeinträchtigt?«
»Becca hat mir versichert, dass sie weiterhin alle ihre anstehenden Fälle bewältigen könne.«
Kincaid bemerkte Cullens flüchtigen Blick, und er wusste, dass es seinem Partner ebenfalls aufgefallen war. Gaskill hatte sich verplappert und die vertrauliche Form von Rebecca Meredith’ Vornamen benutzt.
»Und ihre Kollegen hier im Dezernat?«, fragte Kincaid. »Waren die auch damit einverstanden?«
»Da müssten Sie sie schon selbst fragen, Superintendent. Ich bin davon ausgegangen, dass sie sich mit ihnen abgesprochen hatte.«
»Hatte sie das?« Kincaid setzte sich ein wenig bequemer hin und strich seine Bügelfalte glatt, ehe er fortfuhr. »Wussten Sie, dass DCI Meredith mit dem Gedanken spielte, sich ganz dem Training für die Olympischen Spiele zu widmen?«
Er registrierte das kurze Zögern in Gaskills Miene. Es war nur ein leichtes Zucken, und er hatte es gleich wieder unter Kontrolle, doch es war unverkennbar gewesen. Der Mann hatte überlegt, ob er lügen oder die Wahrheit sagen sollte. Warum?
Gaskill legte eine Hand an den ohnehin schon akkurat ausgerichteten Papierstapel auf seinem Schreibtisch. »Sie hat mit mir darüber gesprochen, ja; aber ich glaube nicht, dass sie schon zu einer endgültigen Entscheidung gelangt war. Sie hätte natürlich unsere volle Unterstützung gehabt, so leid es uns getan hätte, sie zu verlieren.« Er schien zu merken, dass seine Wortwahl etwas unglücklich war, denn er fügte hinzu: »Vorübergehend, meine ich natürlich.«
Er räusperte sich, womit er deutlich signalisierte, dass die Unterredung beendet war. »Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, Superintendent, ich bin zum Lunch verabredet. Was DCI Meredith’Team betrifft – Sergeant Patterson ist wegen einer Vernehmung außer Haus, aber DC Bisik wartet draußen darauf, mit Ihnen zu sprechen.«
Kincaid beschloss, den Rausschmiss gelassen hinzunehmen. Ehe er Superintendent Gaskill weiter zusetzte, wollte er noch mehr in Erfahrung bringen. Er stand auf und hielt Gaskill die Hand hin, sodass dieser nicht umhinkam, sie erneut zu schütteln. »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
Gaskill stand auf. »Sie werden mich auf dem Laufenden halten?«
»Selbstverständlich.«
»Sie finden DC Bisik an dem Schreibtisch zu Ihrer Rechten«, sagte Gaskill und deutete mit dem Kopf in die Richtung, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder seinen Papieren zuwandte. Kincaid hätte gewettet, dass er die oberste Seite bereits auswendig kannte.
Als sie das CID -Büro betraten und die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, flüsterte Cullen: »So ein Arschloch.«
»Das können Sie laut sagen«, murmelte Kincaid, während er sich nach dem Constable umblickte. Doch ein junger Mann hatte sich bereits von einem Schreibtisch rechts von ihnen erhoben und kam auf sie zu.
»Hallo, ich bin Bryan.« Er gab ihnen die Hand. » DC Bisik. Ist sie – Wir haben gehört – Ist die Chefin wirklich tot?« Er war untersetzt, mit kurz geschorenen dunklen Haaren, die sein blasses Gesicht betonten, und seine
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