Die stillen Wasser des Todes - Roman
»Ich hätte ihn umgebracht. Ich hätte ihn umgebracht, wenn er dich auch nur angerührt hätte.«
Sein Ton ließ sie unwillkürlich erzittern. So hatte sie ihn erst ganz wenige Male erlebt, so eiskalt und unversöhnlich. Und dann hatten sie es mit Mördern zu tun gehabt.
»Du hast mich damals ja noch nicht gekannt«, sagte sie.
»Das hätte keine Rolle gespielt, wenn ich es herausgefunden hätte.«
Hätte sie es ihm erzählt?, fragte sie sich.
Und was hätte sie damals getan, wenn Angus Craig sie tatsächlich vergewaltigt und ihr dann mit dem Verlust ihres Jobs gedroht hätte? Sie hatte ein Kind durchbringen müssen, und das ohne jegliche Unterstützung von ihrem zahlungsunwilligen Exmann. Und ihre Arbeit war ihr ungeheuer wichtig gewesen – ihr sehnlichster Wunsch war es, sich zu beweisen und bei der Met voranzukommen.
Aber alles, was Peter Gaskill zu Rebecca Meredith gesagt hatte, hätte auch für Gemma gegolten. Sie war gesehen worden, wie sie mit Craig das Lokal verließ. Hätte er behauptet, der Sex sei einvernehmlich gewesen und sie habe es sich erst hinterher anders überlegt, sie hätte nicht das Gegenteil beweisen können.
Und wenn es wirklich zu einem Prozess gekommen wäre, was äußerst unwahrscheinlich war, dann hätten Craigs Anwälte ihren Ruf gründlichst zerstört. Zu oft schon hatte sie erlebt, was Strafverteidiger Frauen antun konnten, die eine Vergewaltigung zur Anzeige gebracht hatten. Selbst Blutergüsse und Risse im Vaginalbereich konnten damit erklärt werden, dass die Frau es eben etwas härter mochte . Und wenn eine solche Vorstellung sich erst einmal in den Köpfen festgesetzt hatte, spielte die Wahrheit keine Rolle mehr.
Nach einem solchen Vorfall hätte die Met sie zwar nicht unbedingt entlassen können, dennoch wäre sie auf jeden Fall stigmatisiert gewesen.
Rebecca Meredith hatte einen höheren Rang und mehr Einfluss gehabt, aber selbst das hatte ihr nicht geholfen.
Kincaids eindringliche Stimme brachte sie in die Gegenwart zurück. »Gemma, bist du sicher, dass er dich nicht –«
»Nein, nein, er hat mich gar nicht angerührt. Aber – ich frage mich – Was, wenn Rebeccas Ex wusste, was passiert war? Oder wenn er es irgendwie herausgefunden hatte? Hätte er dann nicht ähnlich empfunden wie du?«
»Vielleicht. Er schien sehr um sie besorgt.« Kincaid schüttelte den Kopf. »Aber dann wäre es doch Craig gewesen, den er umgebracht hätte, nicht seine Exfrau.«
»Und wenn er eifersüchtig war?«
»Eifersüchtig genug, um sie zu töten, weil sie vergewaltigt worden war?« Er verzog das Gesicht. »Möglich, aber es klingt pervers. Und so schätze ich Freddie Atterton nicht ein.«
»Du magst ihn, nicht wahr? Diesen Atterton?«
Kincaid zuckte mit den Achseln. »Kann schon sein«, erwiderte er. »Aber vor allem gefällt mir die Vorstellung ganz und gar nicht, dass er als nützlicher Sündenbock für die schmutzige Wäsche des Yard herhalten soll. Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils, das gilt auch hier. Ich würde dagegen ohne Zögern auf Craig wetten.«
Gemma stand auf, nahm die beiden Tassen und spülte sie aus. Dann stellte sie das Wasser ab und drehte sich wieder zu ihm um. »Craig, ja. Das leuchtet mir ein. Was ich nicht verstehe, ist: Warum jetzt? Rebecca Meredith hatte Peter Gaskill den Vorfall doch schon vor einem Jahr gemeldet.«
»Sie hatte vielleicht erfahren, dass Craig mit allen Ehren in den Ruhestand verabschiedet worden war und dass sie ihm sogar noch einen Orden hinterhergeworfen hatten«, sagte Kincaid, während er seinen Stuhl zurückschob und Geordies Ohren kraulte. »Sie hatte sich ihrem Vorgesetzten anvertraut, und er hatte ihr Vertrauen missbraucht. Sie muss vor Wut außer sich gewesen sein. Es wundert mich, dass sie Gaskill nicht umgebracht hat.«
Mit tropfenden Händen kehrte Gemma an den Tisch zurück und setzte sich. »Ja, aber so wütend sie auch gewesen sein mag, sie war doch nach wie vor völlig machtlos. Warum sollte Craig sie ermorden?«
Kincaid gab dem Hund noch einen letzten Klaps und starrte an Gemma vorbei ins Leere. »Es sei denn … Es sei denn, sie hatte noch andere Karten in der Hand oder neue. Vielleicht hatte sie eine Möglichkeit gefunden zu beweisen, dass es doch kein einvernehmlicher Sex gewesen war. Oder … Sehen wir uns doch mal den zeitlichen Ablauf an …« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wie es seine Angewohnheit war, wenn er nachdachte, und verpasste sich damit eine Igelfrisur.
»Wenn er es vor
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