Die Stimme der Erde
Dienwald? Ihr habt sie angeschrien und ausgeschimpft und seid dann wütend davongeritten, stimmt's?«
Dienwald sah die freundliche, reine, süße Lady an und sagte zu Graelam: »Verschließ ihr den Mund! Sie wird unverschämt. Sie ärgert mich genauso wie diese Dirne.«
Graelam lachte. »Sie sagt nur die Wahrheit. Du hast jetzt eine Frau, Dienwald, und es ist doch wirklich unerheblich, aus welcher Familie sie stammt. Du hast sie doch nicht wegen ihrer Familie geheiratet, sondern weil du sie liebst.«
»Nein! Ich habe sie geheiratet, weil ich ihr die verdammte Jungfernschaft geraubt habe. Ich hatte keine andere Möglichkeit, denn mein Sohn - mein irregeleiteter neunjähriger Sohn - hat von mir verlangt, daß ich sie heirate!«
»Ihr hättet sie sowieso geheiratet«, sagte Kassia.
»Ja, das stimmt«, gab Dienwald zu. »Ich werde einer Lady doch kein uneheliches Kind machen.«
»Warum spielst du dich dann als unschuldiges Opfer auf?« fragte Graelam.
»Na ja, ich habe schon etwas für sie übrig. Aber ich dachte doch, ihr Vater wäre dieser Halbidiot, und das hätte mich nicht weiter gestört. Aber nein, ihr Vater muß ausgerechnet der König von England sein. Der König von England, Graelam! Das ist zu viel. Das kann ich nicht zulassen. Ich verstoße sie. Sie hat mich reingelegt und zum Gespött gemacht. Ja, ich stecke sie in einen Konvent und lasse die Ehe annullieren, und dann wird ihr die Verliebtheit schon vergehen. Sie hat mich mit ihrer süßen Nachgiebigkeit, mit ihrem sanften Lächeln und ihrer Leidenschaft betört. Aber dann wird sie mich hassen, und wir haben beide das, was wir verdienen.«
Kassia bot Dienwald einen Stuhl an. »Ihr werdet nichts Derartiges tun. Setzt Euch, mein Freund, und eßt erstmal was! Hier habt Ihr frisches Brot und Honig.«
Dienwald, der wirklich Hunger hatte, begann zu essen. Graelam und Kassia sahen zu, wie er seiner Wut noch geraume Zeit Luft machte, wie er herumzankte und Verwünschungen ausstieß. Dann ritt am Vormittag des dritten Tages nach seiner unerwarteten Ankunft auf Wolffeton Roland de Tournay in den Burghof ein.
Roland sah Dienwald lange Zeit schweigend an. Mit scharfem Auge erkannte er, daß der Mann in einem verzweifelten Zustand war. Er hatte dunkle Ränder unter den Augen. Vermutlich kaum geschlafen. Er sah wie ein Mensch aus, der mit sich und dem Schicksal hadert. »Nun«, sagte Roland, »ich habe mich schon gefragt, wohin Ihr geflohen seid. Eure Gattin ist recht unglücklich, mein zukünftiger Graf von St. Erth!«
»Ich will kein verdammter Graf werden! Was habt Ihr gesagt? Philippa ist unglücklich? Ist sie krank?«
»Ihr habt selber gesagt, daß sie in Euch verliebt sei, Dienwald«, sagte Kassia. »Was erwartet Ihr denn? Sie muß doch unglücklich sein, wenn Ihr sie verlaßt.«
Roland redete geduldig auf ihn ein. »Eure schöne Frau liebt Euch zufälligerweise. Das kann zwar kein Mensch verstehen, es ist nun aber mal so. Wie gesagt, sie ist Euch verfallen. Da Ihr so unerwartet davongeritten seid, ist sie natürlich untröstlich. Alle Bediensteten sind ebenfalls untröstlich, weil sie es ist. Euer Sohn hängt sich an ihre Röcke und versucht, sie von ihrer trüben Stimmung zu befreien, aber mit wenig Erfolg. Der Kanzler und Lord Henry sind abgereist, weil das Leben auf St. Erth trübsinnig und düster geworden ist. Kein Mensch hat mehr Sinn für Scherze, nicht einmal Euer Narr Crooky. Kann ja sein, daß ich mich irre, aber mir scheint, daß Ihr ein sehr dummer Mensch seid, Herr Graf.«
»Ich bin kein verdammter Graf! Und ich kann mich nicht erinnern, Euch um Eure Ansicht gebeten zu haben, de Tournay!«
»Nein, das habt Ihr nicht. Eure Frau ist eine schöne Dame und verdient es nicht, von Euch so gemein behandelt zu werden.«
Es sah aus, als wollte Dienwald sich auf Roland stürzen. Rasch griff Graelam ein. »Dienwald, wenn du weiter deine Wunden lecken willst, dann geh woandershin! Und greife Roland nicht an! Er ist nicht dein Feind, und er ist mein langersehnter Gast.«
Immer noch vor sich hin schimpfend, begab sich Dienwald zum Übungsplatz von Wolffeton, um sich dort mit Rolfe und den anderen Männern im Waffenspiel zu messen.
Roland wandte sich lächelnd Graelam zu. »Ja, es hat sehr lange gedauert, mein Freund, aber nun bin ich endlich hier. Ist das deine Frau, Graelam? Dieses schöne Wesen, das wie eine Märchenprinzessin aussieht? Sie hat dich, einen mit Narben bedeckten, haarigen Krieger, zum Mann genommen? Freiwillig?«
»Ja«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher