Die Stimme der Erde
nichts. Sollte er doch in dem abgetragenen Waffenrock, den er trug, verrotten! Zuerst kam ihre Kleidung dran. Danach würde sie fliehen und sich zu ihrem Vetter Walter durchschlagen.
Als alle sich an Brot, Ziegenkäse und einigen Scheiben kaltem Rindfleisch gelabt hatten, trieb Philippa sie widerwillig erneut an die Webstühle. Besser wurde es nicht.
Das Schicksal war weiterhin gegen sie. Der Rest des Tages verlief bei großer Hitze in quälender Langsamkeit. An den Webstühlen zerbrach ein Teil nach dem anderen. Gorkel wurde bis an die Grenze seines Leistungsvermögens beansprucht und sah von Stunde zu Stunde düsterer aus.
Jetzt war es schon spät, und Philippa war so müde, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sie verließ den Webstuhl, an dem sie gearbeitet hatte, und sagte den Frauen, sie sollten sich morgen früh wieder hier einfinden. Dann ging sie einfach aus der Webstube. Der Innenhof lag schon zu einem Drittel im Schatten. Sie ging auf die dicken Tore zum äußeren Burghof zu, vorbei an gackernden Hühnern, mehreren Schweinen, drei Ziegen und einer
Menge von Kindern. Als hätte sie einen wichtigen Auftrag zu erledigen, sah sie weder nach links noch nach rechts und ging immer weiter.
Sie war den inneren Toren schon ganz nahe, da hörte sie hinter sich seine Stimme. »Ja, täuschen mich denn meine Augen? Oder will meine Sklavin wieder fliehen? Soll ich dich an mein Handgelenk binden, Dirne?«
So, nun wußte sie Bescheid. Er mußte einen Wachdienst eingerichtet haben, der ihm sofort meldete, wenn sie etwas Ungewöhnliches unternahm. Nun, sie hatte es jedenfalls versucht. Sie drehte sich nicht um, sondern blieb nur stehen, den Blick auf die Tore gerichtet. Über die Schulter hinweg sagte sie: »Wenn Ihr mich an Euer Handgelenk bindet, dann werdet Ihr Euch in der schrecklichen Webstube totschwitzen. Ich glaube nicht, daß Ihr daran Gefallen findet.«
»Da hast du recht«, sagte Dienwald nachdenklich.
»Und ich bin nicht Eure Sklavin.«
Ihr Trotz nötigte ihm ein Lächeln ab. Sie hatte sich die Haare mit einem Stück Leder zusammengebunden. Von dort aus fielen sie ihr in dichten Locken über die Schultern und reichten fast bis zur Taille. Sie sah müde und geschafft aus. Das gefiel ihm nicht. Er zog die Brauen zusammen und sagte: »Die Lederstücke für die Schuhe sind bald fertig. Mein Waffenschmied schneidet sie schon zurecht. Er wird auch an deinen Füßen Maß nehmen.«
»Wenn er so große Lederstücke haben sollte.«
»Ich habe angeordnet, daß er sich vergewissern soll. Eigentlich paßt es mir nicht, daß er an deinen Füßen auch Maß nimmt. Es ist mir peinlich, daß du so große Füße hast.«
»So große Füße habe ich gar nicht!«
»Aber sie sind beinahe so schmutzig wie die meines Sohnes. Würdest du jetzt gern ein Bad nehmen? Ich war gerade auf dem Weg zur Webstube, um zu sehen, was ihr für Fortschritte gemacht habt. Wie geht es denn so? Prink versucht alles, um sein Fieber zu überwinden. Er ist wütend, daß Frauen seine Arbeit ausführen und daß eine Frau die Leitung hat. Der armen Mordrid wirft er niedrigen Verrat vor.«
»Die alte Agnes sagte, daß er dabei ist abzuschrammen«, sagte Philippa.
Dienwald trug dieselben Kleider wie gestern. Auch er wirkte er-hitzt und müde. Ihr Blick fiel auf seine langen Finger, und sie schloß die Augen. Sie dachte daran, wie sie ihren Körper gestreichelt hatten.
Das war doch absurd! Er hatte sie nur betrachtet, sie aber nicht begehrt. Wenn er versucht hätte, sie zu vergewaltigen, hätte sie ihn niedergemacht, sich jedenfalls bis zum letzten Atemzug gegen ihn gewehrt. »Ihr braucht mich doch nicht mehr. Keine kann die Frauen so antreiben wie die alte Agnes. Mordrid kann sie weiter anlernen. Gorkel kann die Webstühle reparieren. Euer wunderbarer Prink ist dagegen nur ein blöder Faulpelz. Ach, Euch ist das ja alles gleichgültig!« Er sah sie so gelassen an wie ein vorlautes Hündchen. »Jedenfalls können alle Frauen jetzt einigermaßen gut weben. Ich will nur mein Kleid haben und dann zu meinem Vetter gehen.«
»Wie war noch gleich der Name dieses sogenannten Vetters?«
»Sein Name ist Pater Ralth. Er ist ein strenger Benediktiner, wird mich als Chorknaben einkleiden und mir eine kleine Zelle zuweisen. Ich habe vor, den Rest meines Lebens mit Meditationen zu verbringen. Ich werde Gott dafür danken, daß er mich vor de Bridgport und Schurken wie Euch gerettet hat.«
»Ihr werdet dann den Namen Philippa Castrato erhalten,
Weitere Kostenlose Bücher