Die Stimme der Erde
eine Leibeigene. Das ist ihm völlig gleichgültig. Er wird dafür sorgen, daß Ihr sowohl von ihm wie von Eurer Familie verstoßen werdet.«
Seine giftigen Äußerungen erschreckten sie. Sie hatte gestern abend zwar einen Nachttopf auf dem Kopf des Lords zerschlagen, aber das war etwas anderes gewesen. Obwohl sie Dienwald bis zur Besinnungslosigkeit gereizt hatte, hatte er sie nicht mißbraucht. Vielmehr hatte sie ihn verletzt. Dann fiel ihr allerdings ein, daß er sie geschlagen hatte. Aber was hätte sie denn getan, wenn er ihr mit dem Nachttopf auf den Kopf geschlagen hätte? Doch sein Verwalter - er sollte seinen Herrn eigentlich loben und nicht schlecht über ihn reden.
»Warum haßt du ihn, Mann?«
Alain fuhr zurück, als hätte sie ihn geschlagen. »Ich und meinen Herrn hassen? Aber ich hasse ihn doch nicht! Ich kenne ihn nur sehr gut. Ich weiß, wie er ist und wie er denkt. Er ist ein rücksichtsloser, gesetzloser Wilder. Darum, Lady, müßt Ihr hier weg, bevor Ihr den Tod findet oder wünscht zu sterben. Sagt mir den Namen Eures Vetters, und ich mache Euch den Weg frei!«
»Ja«, sagte sie langsam, »ich werde ihn dir sagen.«
Da glühten seine Augen, sein Atem ging schneller. »Wer ist es?«
»Heute noch nicht. Ich muß mir erst ein Kleid verdienen. Das habe ich mit deinem Herrn ausgemacht. In diesem Aufzug kann ich nicht zu meinem Vetter gehen. Das mußt du verstehen, Mann.«
»Ihr seid ein ganz dummes Mädchen«, erwiderte er. »Er wird stöhnend auf Eurem Schoß liegen und nicht eher Ruhe lassen, bis Ihr ein uneheliches Kind bekommt. Dann wirft er Euch raus, und Ihr endet im Straßengraben.« Er ging, und sein Körper bebte vor Wut.
Philippa überlegte eine Weile. In diesem Haushalt ging es höchst merkwürdig zu, und am merkwürdigsten von allen war der Lord selber. Dann erhob sie sich gesättigt und ging zur Webstube.
Als Philippa das lange, schmale Zimmer betrat, das keine Luftöffnung hatte, wurde es still. Die alte Agnes hatte sechs Frauen versammelt. Es gab drei Spinnräder und drei Webstühle. Alle waren sehr alt. Einer sah hinfälliger aus als der andere. Philippa unterhielt sich mit jeder einzelnen Frau, erkundigte sich nach den Namen und den Kenntnissen. Bis auf zwei hatte keine die geringste Ahnung. Dann begab sie sich zu den Webstühlen. Bei einem war das Schiff gebrochen, beim zweiten hatte sich der Harnisch gelockert, und beim dritten war das Trittbrett aus der Halterung gefallen.
Die alte Agnes sagte ihr, Gorkel könne da Abhilfe schaffen. »Is ja wie'n Schreckgespenst anzusehen, der Gorkel, aber er hat es schon immer verstanden, so was wieder ganz zu machen.«
»Dann hole Gorkel!«
In der Zwischenzeit überprüfte Philippa die Spinnräder und die Qualität des Fadens, den die Frauen aus der Wolle gesponnen hatten. Angesichts des alten Zustands der Spinnräder und der gefährlich wackelnden Räder war das Ergebnis mehr als zufriedenstellend. Im Geist das Bild ihrer Mutter vor Augen, sprach sie den Frauen lächelnd ein Lob aus.
Zwei Stunden später saßen die Frauen an den Webstühlen. Sie arbeiteten langsam und bedächtig, aber das konnte nur gut sein. Die alte Agnes keifte und sparte nicht mit Tadel. Dann wandte sie sich mit breitem, zahnlosen Grinsen an Philippa. »Prink - der Weber, wißt Ihr, my Lady - na, ein Saukerl war der! Hat immer gesagt, die Frauen könnten sowieso nicht weben, nur spinnen könnten die. Ha! Hoffentlich schrammt der alte Knacker bald ab. Is ja nur, weil er wollte, daß die Frauen es nicht lernen tun - deshalb hat der alte Schwachkopf nichts beigebracht. Weil, wenn sie es könnten, dann guckt er dumm aus der Wäsche.«
Philippa hätte Prink noch gern kennengelernt, bevor er abschrammte.
Alles ging gut. Philippa de Beauchamp sorgte dafür, daß die Wolle ihres Vaters zu Tuch gewebt wurde - für den Mann, der die Wolle gestohlen hatte. Es war so komisch, daß sie laut darüber lachen mußte.
»Was lachst du da? Kannst mich doch gar nicht sehen!«
»Das hätte ich mir gleich denken können - wie lange schaust du uns schon heimlich zu, Edmund?«
»Ich gucke keiner Frau beim Arbeiten zu«, sagte Edmund. »Ich guck auf den Maibaum!«
»Ungezogener kleiner Junge«, sagte sie und wandte ihm den Rücken zu.
»Das sag ich meinem Papa, dann läßt er dich nicht mehr auf meinen Nachttopf!«
Philippa fuhr herum, rang die Hände, warf ihm einen flehenden Blick zu und sagte bittend: »O nein, Master Edmund! Ich muß deinen Nachttopf benutzen. Ich will nicht
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