Die Stimme der Erde
fest, weil sie wie immer an das Kind in ihrem Schoß dachte. Allerdings fühlte sie sich gesund und munter. Es war ihr nicht lieb, daß Graelam sich so große Sorgen um sie machte. Und jetzt hatte ihr Vater auch noch angekündigt, er werde nach Wolffeton kommen und über sie wachen. Die beiden würden sie mit ihrer Fürsorge noch zum Wahnsinn treiben!
Leise klopfte sie an die Tür zu Dienwalds Schlafzimmer. Dann probierte sie den Griff. Es war abgeschlossen. Sie rief: »Bitte, Morgan, las mich ein! Hier ist Kassia de Moreton.«
Philippa starrte zur Tür. Wer in Teufels Namen war Morgan? Sie stand auf, hüllte sich in die Decke, tappte auf bloßen Füßen hin und öffnete lächelnd. »Kommt herein, Lady!«
»Danke. Oh, meine Liebe, Dienwald hat wirklich die Wahrheit gesagt. Du hast nichts anzuziehen.«
Philippa bestätigte es stumm.
»Du bist aber nicht die Tochter eines Leibeigenen, nicht wahr? Was will Dienwald uns da für einen Bären aufbinden?«
»Was hat er Euch denn erzählt?«
»Daß du seine Geliebte bist.«
Philippa knurrte verächtlich und warf die ungebärdige Haarpracht in den Nacken.
»Du hast wunderschöne Haare«, sagte Kassia. »Solche Haare habe ich mir immer gewünscht. Mir hat man den Kopf geschoren, als ich einmal schwerkrank war. Seitdem sind meine Haare wieder gewachsen, aber nicht so dicht wie deine. Hast du etwas dagegen, wenn ich mich setze? Ich bin so schwer geworden.«
Philippa hatte den Eindruck, daß die kleine Lady sehr nett und wahrscheinlich ohne jeden Falsch sei. Sie war also mit diesem mächtigen Krieger verheiratet und schwanger. Philippa versuchte vergeblich, sich die beiden im Bett vorzustellen. Nun, sei dem, wie ihm wolle, diese vollkommene Lady war jedenfalls für Dienwald unerreichbar.
Der Gedanke verschaffte ihr unendliche Erleichterung. »Verzeiht mir«, sagte Philippa, »darf ich Euch vielleicht einen Krug Milch anbieten? Ich kann mir nicht vorstellen, daß Dienwald daran gedacht hat.«
»Nein, das hat er nicht, aber vielen Dank, ich möchte jetzt keine Milch. Er ist übrigens meinem Lord sehr ähnlich. Sag mir, wie heißt du wirklich?«
Philippa hätte ihr liebend gern alles erzählt, wollte aber nicht, daß man an Dienwalds Worten zweifelte und ihn unter Druck setzte, selbst wenn sie seine Freunde waren. Und sie wollte schon gar nicht zu ihrem Vetter Walter. Nein, sie wollte hierbleiben. »Ich heiße Morgan«, sagte sie deshalb.
Aufs Lügen verstehst du dich schlecht, dachte Kassia. Sie sagte aber nichts dazu und lächelte das große, sehr hübsche Mädchen nur an. Was machte sie hier auf der Burg? Dahinter mußte ein Geheimnis stecken. Dann fiel ihr Robert Burnells Besuch ein. Sie und ihr Mann hatten Dienwald vor Burnell über den grünen Klee gelobt und ihn als zukünftigen Ehemann der unehelichen Tochter des Königs angepriesen. Doch wenn Dienwald dieses Mädchen liebte, würde er dem König bestimmt eine abschlägige Antwort erteilen. Er würde ihm sogar ins Gesicht lachen. Nein, keiner konnte Dienwald zu etwas zwingen, was er nicht freiwillig tun wollte.
»Ich bin eigentlich hier, um dir Kleider anzubieten, Morgan. Zwar habe ich keine bei mir. Aber du könntest mir deine Maße sagen, dann kann ich dir morgen welche nach St. Erth schicken lassen.«
Philippa bereute alle bösen Wünsche, die sie gegen diese elegante, feine Dame gehegt hatte. »Ich habe Stoffe weben lassen, hatte aber noch keine Zeit, mir ein Kleid davon zu nähen. Erst waren Edmund und Dienwald an der Reihe und dann Crooky, der Narr. Er sah so abgerissen aus und war so glücklich darüber, neue Sachen zu bekommen. Heute abend nähe ich ein Kleid für mich. Trotzdem besten Dank. Ihr seid sehr nett.«
»Das ist aber interessant«, sagte Kassia.
»Was ist interessant, my Lady!«
»Das mit dir und Dienwald. Normalerweise ist er nämlich nicht gerade ein Mann, der den Frauen viel Beachtung schenkt. Versteh mich nicht falsch! Er hat sich immer für Frauen interessiert, aber nie für längere Zeit. Wenn er seine Bedürfnisse gestillt hat, beachtet er sie nicht mehr. Er ist ein schwieriger Mensch und kann sehr dickköpfig sein. Doch sonst ist er treu und wahr. Allerdings benimmt er sich auch gern wie ein roher Kerl, manchmal geradezu wie ein Schuft. Und vor allem legt er großen Wert darauf, als unberechenbar zu gelten.«
»Ich weiß.«
»Du weißt es? Nun, das ist ja noch interessanter. Du kennst ihn also gut? Bist du schon lange auf St. Erth?«
Wollte sich die Lady einen Scherz mit ihr
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