Die Stimme des Blutes
dann auf die Jagd gehen? Es tut mir leid, daß wir durch meine Schuld hier Zeit vertrödelt haben.«
»Er ist uns noch nicht auf den Fersen, Daria. Niemand kann uns verraten haben. Selbst wenn der Bauer dem Grafen von uns erzählt hat, würde er immer noch nicht wissen, wohin wir geritten sind.«
»Doch, er weiß es, er findet es irgendwie heraus. Ich habe es im Gefühl. Er ist sehr schlau.«
»Demnach habt Ihr ihn bewundert. Wolltet Ihr ihn vielleicht gar nicht verlassen? Wolltet Ihr ihn denn heiraten?«
Sie warf den Kopf hoch. »Das ist dummes Zeug, was Ihr da redet, Roland!« Und dann brach sie zu seiner Bestürzung in Tränen aus.
Roland starrte sie an. Bisher hatte sie ungewöhnlichen Mut und große Seelenstärke bewiesen. Daß sie jetzt, da die Gefahr vorüber war, Freudentränen weinte, sah ihr überhaupt nicht ähnlich.
»Wieso bin ich dumm?«
Sie schüttelte den Kopf, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und wandte sich ab. »Nein, Ihr seid ja nicht dumm, aber Ihr redet dummes Zeug. Verzeiht mir. Hat Cantor genug getrunken?«
Er sah sie lange an. Dann sagte er: »Ja«, reichte ihr die Hand und zog sie hinter sich aufs Pferd.
Sie ritten jetzt in der Nähe des Flusses Usk weiter. Zu beiden Seiten stiegen dicht mit Buchen und Schwammeichen bewaldete Hügel empor. Darüber erhoben sich schlanke, hohe Föhren. Dazwischen wanden sich schmale Bäche, meist flach und im hellen Sonnenlicht hellbraun glänzend, durch das Land. Aber auch im Sonnenschein fühlte, roch und hörte man Wasser in der Luft - in der Feme tosten Wasserfälle über nasse Felsen, und tief unter der Erde gurgelten unsichtbare Wasserläufe.
»Seid froh, daß es nicht regnet!« sagte er. »Wieso bin ich dumm, Daria - nein, wieso rede ich dummes Zeug? Wieso?«
»Der Graf ist ein furchteinflößender Mann. Ich glaube nicht, daß er wahnsinnig ist, bisher jedenfalls nicht. Aber er ist ein sonderbarer Fanatiker, und seine Launen wechseln gefährlich sprunghaft. Ich hätte eher Ralph von Colchesters Vater oder Großvater geheiratet als ihn.«
»Aha.«
Ihre Arme schlangen sich fester um seinen Leib. »Roland, bringt mich bitte nicht zu meinem Onkel zurück! Er glaubt nicht an Gott. Er glaubt nur an sich selbst und hält sich für allmächtig. Und er verbreitet mehr Furcht um sich als jeder andere Mensch, weil er absichtlich grausam ist. Er hat einen kalten Charakter, und er gefällt sich in seiner Grausamkeit.«
»Nun, dann müßtet Ihr doch froh sein, daß Ihr heiratet. Dann könnt Ihr Reymerstone den Rücken kehren und seid dem bösen Einfluß Eures Onkels entzogen.«
Es gefiel ihm selber nicht, daß er so harte Worte zu ihr sagte. Aber er wurde von dem Onkel dafür bezahlt, daß er ihm die Nichte zurückbrachte, und von dem Geld, das er bekam, würde er sich die Burg in Cornwall kaufen und sich nie wieder den Wünschen eines anderen Menschen beugen müssen - es sei denn, er wollte es so.
Daria war verstummt. Erst im Laufe des Nachmittags brach sie ihr Schweigen. »Bitte, Ihr müßt hier kurz Halt machen.«
Er nickte, ließ Cantor halten, sprang ab und hielt die Arme für sie auf. Sie achtete nicht darauf und glitt an der linken Seite des Pferdes herunter.
»Um Gottes willen, schnell weg da!«
Ihre unvermutete Handlung hatte Cantor erschreckt. Er fuhr herum, bäumte sich auf und keilte mit den Vorderbeinen aus.
»Weg, Daria!«
Sie fiel über einen vorragenden Felsstein rücklings zu Boden.
Roland besänftigte das Pferd und band die Zügel am stumpfen Ast einer Eibe fest.
Dann ging er zu ihr und reichte ihr eine Hand. »Macht nie wieder einen solchen Unsinn, Daria!«
Sie verschmähte seine Hand, nickte aber und kam langsam auf die Beine.
»Und nur weil Ihr ärgerlich auf mich gewesen seid. Bitte, denkt daran, daß ich Euch lebend und gesund in Reymerstone abliefern muß!«
»Ja, das stimmt! Wenn ich tot bin, bekommt Ihr ja kein Geld von meinem Onkel, nicht wahr?«
»Genau. Also seht Euch in Zukunft vor!«
»Ich gehe mal in das Gehölz«, sagte sie. Sie war seinetwegen und wegen ihrer Lage so zornig und enttäuscht, daß sie am liebsten ausgespuckt hätte. Leicht humpelnd ging sie auf die dichtbelaubten, nassen Bäume zu. Er sah ihr nach, bis sie verschwunden war, und merkte sich die Stelle. In der Feme ragten bräunliche, felsige Hügel über dem Wald auf. An einem Hang tummelten sich Wildponys. Mit ihren langen, verfilzten Mähnen hoben sie sich vor den dicht stehenden Fichten ab. Sie witterten ihn, blieben stehen
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