Die Stimme des Feuers
Lebens freuen würde.«
»Bisher haben ihn seine Pflichten jung erhalten. Ja, es stimmt, was du sagst. Man sollte annehmen, daß jemand, dem solche Last von den Schultern genommen wird, sein Leben in Frieden genießt. Doch wie man sieht, ist es nicht so. Manchmal denke ich, daß mein Vater nur jung und gesund bleibt, weil Geoffrey ihn mit seinen hinterlistigen Absichten auf dem Sprung hält. Andererseits bete ich, daß dort nichts passiert.«
»Hoffen wir, daß dein Vater noch anderes hat, was ihn den Winter über beschäftigt! Wenn Geoffrey irgendwelche Pläne schmiedet, wird er sie vor dem Frühjahr nicht in die Tat umsetzen.«
»Ach, ich bete darum, daß Geoffrey seine Enttäuschungen überwindet! Der Gedanke, Belleterre sei bedroht, ist für mich unerträglich.« Ihr Vater und Belleterre waren die beiden einzigen Stützpunkte in ihrem Leben gewesen. Zwei Tränen quollen aus ihren Augen und kullerten ihr langsam über die Wangen.
»Hör auf zu weinen!« sagte Graelam. »Du bist kein Kind mehr, Kassia, und es gibt keinen Grund, sich wegen Geoffrey Sorgen zu machen.«
Trotz seines rauhen Tons nahm er sie in die Arme und drückte ihr Gesicht an seinen warmen Waffenrock.
Begierde nach ihr wallte in ihm auf. Ja, er hatte schon oft Wollust nach Frauen gespürt. Doch was er für Kassia fühlte, ging weit darüber hinaus. Da spielten andere, tiefere Emotionen mit, die er nicht näher erforschen wollte. Er zog sie eng an sich und dachte: Verdammtes Weib! Während seines Aufenthalts auf Crandall hatte er mit mehreren Bedienerinnen geschlafen, immer in der Hoffnung, eine würde ihm Erleichterung verschaffen und ihn nicht mehr an Kassia denken lassen. Aber jedesmal, wenn seine Leidenschaft sich ausgetobt hatte, hatte er neben der befriedigt schlafenden Bettgefährtin im Dunkeln lange wach gelegen.
Mit seinen kräftigen Fingern betastete er Kassias zarte Schultern und atmete mit geschlossenen Augen ihren süßen Duft ein. Keine andere Frau duftete so wie sie, dachte er und kam sich selber närrisch vor. Er rieb seine Wange an ihren weichen Haaren. Lavendel, dachte er. Sie duftet nach Lavendel. Seine Hände wanderten tiefer und umfaßten ihre Hüften. Da merkte er, daß sie erstarrte. »Ich will dich doch nicht hier nehmen, Mylady«, sagte er. »Jetzt trockne deine Tränen und sorge dafür, daß etwas Gutes auf den Tisch kommt!«
Kassia wischte sich die Tränen ab, sagte leise: »Ja, Mylord« und ging. Danach kümmerte sie sich den ganzen Abend um Graelams Wünsche, unterhielt sich mit ihm, wenn er es wollte, und hörte zu, wenn er mit seinen Männern Witze austauschte. Da er sie in der vorigen Nacht nicht angefaßt hatte, ahnte sie, daß er es in dieser Nacht tun würde. Sie wünschte es selber. Es würde sie alles andere vergessen machen, wenn auch nur vorübergehend. Aber es durfte nicht im Zorn geschehen. Nicht als Bestrafung.
Danach entschuldigte sie sich und ging auf ihr Zimmer, wo sie in duftendem Wasser ein Bad nahm. Sie dachte an ihre Übungen mit Pfeil und Bogen. Wie lächerlich! dachte sie. Wie dumm von mir! Es bestand zwar die Möglichkeit, daß Graelam ihre Fähigkeiten bewundern würde. Aber wahrscheinlich würde sie ihn nie dazu bringen, daß er ihr Glauben und Vertrauen schenkte. Er würde immer weiter so mit ihr umgehen wie bisher. Wie konnte sie es ändern? Nur durch Lügen.
Als Graelam viel später kam, lag sie schon im Bett. »Ich hatte gedacht, du würdest schon schlafen«, sagte er beim Ausziehen.
Mit zitternden Händen strich sie glättend über die Bettdecken. »Nein«, sagte sie ruhig. Dann platzte sie heraus: »Ich habe sehnlich auf dich gewartet.«
Begierde erfaßte ihn. »Warum?«
Nackt stand er vor dem Bett. Ihr Blick ließ ihn nicht los. Flüsternd sagte sie: »Ich möchte keinen Streit mehr zwischen uns, Graelam.«
Doch damit erreichte sie bei ihm nichts. »Du weißt ganz genau, was ich von dir will«, sagte er und legte sich zu ihr ins Bett.
»Ja, ich weiß.« Fang bloß nicht wieder an zu weinen, du dummes Ding! »Du hast gesagt, du würdest mir verzeihen.«
Er antwortete in kaltem, gleichgültigem Ton: »Ja, ich werde dir verzeihen.«
»Dann mag alles so gewesen sein, wie du es glaubst.«
Das so heiß ersehnte Geständnis war eine große Enttäuschung für ihn. Mit allen Fasern seines Herzens hatte er gewünscht, daß sie ihre Schuld eingestehe, daß sie endlich zugebe, Dienwald de Fortenberry mit der Halskette gekauft zu haben. Doch als sie eben zugab, es wirklich getan zu
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