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Die Stimme des Feuers

Titel: Die Stimme des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gefangen. Sie wußte, daß ihre Augen geschlossen waren, brachte aber nicht die Kraft auf, sie zu öffnen.
    »Pst, mein Kindchen.« Das war Ettas leise Singsangstimme. »Mach den Mund auf, Kassia! Es ist Rinderbrühe.«
    Kassia tat, wie ihr geheißen. Die köstlich schmeckende Flüssigkeit rann ihr in die Kehle.
    »Papa«, flüsterte sie.
    »Ja, ma chere. Hier bin ich. Noch etwas Brühe, und dann kannst du schlafen.« Sanft tupfte ihr Maurice die Flüssigkeit von den Lippen.
    »Es wird seine Zeit dauern, Mylord. Aber das Kind wird am Leben bleiben. Sie ist eine de Lorris.« »Ja«, sagte Maurice, »eine de Lorris.« Aber sein Sohn Jean war auch ein de Lorris gewesen, und doch war er gestorben.
    Er lehnte sich im Stuhl zurück, ließ aber den Blick nicht vom entstellten Gesicht seiner Tochter. Würde ihr die letzte Absolution, die ihr der Priester gereicht hatte, von Nutzen sein, wenn sie einmal die Erde wirklich verlassen mußte?
    »Narr«, murmelte er. Er dachte an Graelam de Moreton, und ein Schauder durchlief ihn. Er durfte jetzt nicht an Graelam denken. Und nicht, was dieser stolze Krieger denken oder tun würde, wenn er entdeckte, daß seine Frau am Leben geblieben war.
    »Papa?«
    »Ja, Kindchen.«
    »Es regnet. Das hört sich wunderbar an.«
    Maurice gab ihr einen leichten Kuß. Sie hatte wieder Farbe bekommen.
    »Du siehst müde aus«, sagte Kassia.
    »Bei allen Heiligen, Kind, ich habe auf den Knien gebetet, bis mir die Beine steif wurden.« Doch jetzt war er überglücklich. Natürlich hatte er ihr Graelams Ring abgestreift und verwahrte ihn nun in einem Lederbeutel in seinem Zimmer.
    »Ich habe seltsame Träume gehabt, Papa«, sagte Kassia. »Darin habe ich neben deiner Stimme noch andere gehört. Eine Stimme kannte ich nicht.«
    »Wahrscheinlich war es die Stimme einer der Frauen«, sagte Maurice.
    »Nein, es war die tiefe Stimme eines Mannes.«
    »Nun, du hast eben geträumt«, sagte Maurice. Ich darf ihr noch nicht die Wahrheit sagen, dachte er, sie ist noch zu schwach.
    Tage und Nächte flossen ineinander. Kassia schlief viel, sprach zwischendurch kurz mit Etta und ihrem Vater und aß. Am Ende der Woche konnte sie schon die Hand heben. Einmal wollte sie sich am Kopf kratzen und fühlte unter dem einfachen Baumwollschleier nur kurze Haare.
    Als Maurice in ihr Zimmer kam, sah er, daß ihr Tränen über das Gesicht rannen. »Nicht doch, Kassia!« sagte er. »Es sind nur die Haare. Was bedeutet das schon! Ich hätte nicht gedacht, daß du so eitel bist. In einem Monat hast du wieder deine vollen, weichen Locken und siehst aus wie ein süßer Chorknabe.«
    Plötzlich lächelte sie. »Vielleicht wäre es gut, wenn du Geoffrey nach Belleterre einlädst. Wenn er mich so sieht, wie ich jetzt aussehe, werden ihm alle Heiratswünsche vergehen.«
    »Siehst du«, sagte Maurice peinlich berührt, »so hat jedes Ding auch seine gute Seite. Aber was Geoffrey betrifft, der Hurensohn wagt es nicht, sich hier zu zeigen. Hier, Kassia, ich habe dir einen Kelch süßen Weins aus Aquitanien gebracht.«
    »Wenn du weiter so viel Wein in mich hineinschüttest, Papa, bekomme ich noch eine rote Säufernase!« Doch der Wein schmeckte ihr. Auf einmal sagte sie: »Papa, ich brauche ein Bad. Ich kann hier nicht weiter im eigenen Dunst liegen. Danach möchte ich mich in den Garten setzen und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen.«
    Maurice strahlte. »Du sollst alles haben, was du wünschst, Kindchen. Und du hast recht. Als erstes brauchst du ein Bad.«
    In Cornwall war ein goldener Tag angebrochen. Die Sonne schien warm und hell, und die steife Meeresbrise duftete süß.
    Graelam verhielt mit Dämon am Rand der steil abfallenden Klippen und schaute auf die mit weißem Schaum gekrönten Brandungswellen hinab, die tief unten gegen die Felsen schlugen. Von St. Agnes Point konnte er mindestens vierzig Kilometer weit ins Land schauen. Ganz in der Nähe lag das kleine Fischerdorf St. Agnes, so einsam, rauh und zeitlos wie die zackigen Klippen, an die es sich schmiegte.
    Graelam dachte daran, wie er als Knabe über den gewundenen Fußpfad unterhalb von St. Agnes Point gelaufen war und die Höhlen und ruhigeren Buchten erforscht hatte. Er drehte sich im Sattel um und sah landeinwärts hinter den zerklüfteten Klippen sanfte Hügel, auf denen Schafe und Rinder weideten, und zwischen den Hügeln in engen Tälern die Bauern beim Bestellen ihrer Äcker. Sein Land. Seine Heimat. Seine Menschen.
    Dahinter erhob sich wie ein roh behauener

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