Die Stimme des Feuers
bescheiden, wie es einer Lady geziemt. Sollte ich Joanna heiraten, werde ich ihr einen guten Ehemann verschaffen. Da sie dann auch ihren Sohn dabei hat, wird das ein Beweis ihrer Fruchtbarkeit sein.«
Langsam, das Gesicht der strahlenden Sonne zugewandt, ging Kassia durch den Apfelgarten. Die Sonne wärmte sie, und sie überließ sich der Freude, am Leben zu sein.
Ihr Lieblingskleid aus gelber Seide war ihr immer noch zu weit, aber das störte sie nicht. Sie blickte auf und sah die dicke Etta entschlossen auf sich zukommen. Sie trug eine Schale mit irgendeiner bestimmt ebenso nahrhaften wie schlecht schmeckenden Speise in der Hand.
»Ihr müßt Euch ausruhen, Herrin«, sagte Etta ohne jede Vorrede. »Hier, das sollt Ihr trinken.«
»Wieder eins deiner Gebräue«, sagte Kassia, trank aber gehorsam die dicke Rinderbrühe. »Ich muß meine Feigenbäume beschneiden«, sagte sie nachdenklich und gab die Schale an Etta zurück.
»Ja, mein Kindchen, aber mir steht der Sinn nicht nach Feigenbäumen.«
»Woran denkst du denn?«
»An Euren Vater. Vor einer Weile kam wieder ein Bote zu ihm.«
»Wieder ein Bote? Ich wußte gar nicht, daß schon mal einer hier war!«
»Ja«, sagte Etta. »Euer Vater scheint über die Botschaft nicht glücklich zu sein.«
»Dann gehe ich zu ihm, um zu hören, ob etwas Unangenehmes vorgefallen ist.«
»Aber Ihr müßt Euch doch ausruhen!«
»Etta, du und Vater, ihr behandelt mich wie ein kleines Küken, das noch keinen Verstand hat. Ich fühle mich schon viel kräftiger.«
»Von wegen!« sagte Etta und folgte ihrer Herrin zur Burg.
Maurice hatte den Boten schon entlassen. Er saß da und starrte blicklos vor sich hin.
»Vater«, sagte Kassia leise. »Was bedrückt dich?«
Es gelang ihm, seine besorgte Miene in ein strahlendes Lächeln zu verwandeln. Er nahm Kassia auf den Schoß. Wie leicht sie noch immer war! Sie wog nicht mehr als ein Kind. Aber ihre lebhaften Haselnußaugen sahen schon wieder gesund und munter in die Welt, und ihr schönes Haar umrahmte das Gesicht mit weichen, sanft fallenden Locken. Er dachte an die erhaltene Botschaft und zog Kassia eng an sich. Die Zeit wurde knapp.
Er spürte den Druck ihrer kleinen festen Brüste an seinem Körper. Sie war kein kleines Mädchen mehr. Sie war eine Frau. Eine verheiratete Frau. »Fühlst du dich wohl, ma chère?« fragte er.
»Sehr wohl, Vater. Wahrscheinlich geht es mir besser als dir. Was hat dir der Bote gebracht? Etta hat durchblicken lassen, daß es schon der zweite war. Kommt er von Geoffrey? Hör zu, Vater, du mußt mir sagen, was dich bedrückt. Ich bin ja nicht mehr an der Schwelle des Todes. Bitte, du darfst mich nicht wie ein unvernünftiges Kind behandeln, das man beschützen und verhätscheln muß. Ich komme mir dann vor, als wäre ich völlig unnütz.«
Er wußte, daß ihm kein Ausweg mehr blieb. »Weißt du noch, wie du mir erzählt hast, daß du im Traum die Stimme eines Mannes hörtest? Eines Mannes, den du nicht kanntest?«
»Ja, ich weiß es noch.«
»Das war kein Traum. Den Mann gibt es wirklich. Er ist Engländer und heißt Lord Graelam de Moreton. Ich wurde in Aquitanien von Räubern überfallen, und Lord Graelam rettete mir das Leben, er und seine Männer. Er ist ein ehrenhafter Mann, Kassia, ein guter Mann, ein Krieger, der gerade auf der Heimkehr aus dem Heiligen Lande war. Ich habe ihm alles über diesen Hurensohn Geoffrey erzählt. Ich will dir auch nicht verschweigen, daß ich, als wir Belleterre erreichten, in ihm den idealen Ehemann für dich sah. Ich habe ihm viel von dir erzählt. Als wir hier ankamen, erfuhr ich, daß du im Sterben lägst. Ich konnte nicht daran zweifeln, daß du noch in derselben Nacht sterben würdest.«
Kassia sah ihn so unschuldig und verständnislos an, daß Maurice im Augenblick nicht weitersprechen konnte. »Vater«, sagte Kassia, »ich verstehe kein Wort. Was ist mit diesem Mann, diesem Graelam de Moreton?«
»Er ist dein Gatte«, sagte er knapp.
Kassia wurde sehr still. Aus großen Augen sah sie ihren Vater ungläubig an. »Mein Gatte«, wiederholte sie verständnislos.
»Ja.« Er zog sie eng an sich. »Ja«, sagte er noch einmal. »Laß mich dir erklären, was geschehen ist, meine Liebste! Ich war damals überzeugt, daß du sterben würdest. Und ich wußte, daß ich dann Belleterre an Geoffrey verlieren würde. Da überredete ich Graelam, sich mit dir trauen zu lassen, bevor du sterben würdest. Damit wollte ich erreichen, daß ihm einmal Belleterre zufiele
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