Die Stimme des Feuers
nicht in ihrer Macht, sie daran zu hindern.
»Eßt, kleines Hühnchen!« sagte Dienwald und reichte ihr ein schönes Fleischstück. Später ließ er sie einen Augenblick allein, nicht ohne ihr einen drohenden Blick zuzuwerfen, und besprach sich mit seinen Männern. Die beiden entfernten sich dann, wohl um Posten in der Nähe des kleinen Lagers zu beziehen. Es war ein warmer Abend, und der Himmel war klar. Kassia wartete.
Plötzlich stand Dienwald vor ihr, die Hände in die schlanken Hüften gestützt. »Na, kleines Hühnchen, meint Ihr nicht auch, es wird Zeit, daß ich Euch vergewaltige?«
18
Aus weitgeöffneten Augen schaute sie zu ihm auf. »Ich wünschte, Ihr würdet es nicht tun«, sagte sie.
»Was soll ich dann mit Euch machen?« fragte er ärgerlich.
»Ich weiß es nicht.«
Er blickte in das erlöschende Feuer und sagte: »Ich auch nicht.« Dann sah er sie an. »Wie kommt es, daß Ihr Graelam de Moreton geheiratet habt?«
Warum sollte sie es ihm nicht sagen? »Er wollte mich gar nicht. Mein Vater hat ihn ... dazu überredet.«
Dienwald horchte auf. In diesem Punkt hatte ihm Blanche jedenfalls die Wahrheit gesagt. »Ein Mann wie Graelam läßt sich nicht so leicht überreden.«
»Das hört sich so an, als ob Ihr meinen Gatten kennt.«
Kühl erwiderte Dienwald: »Wollen mal sagen, daß ich einen gesunden Respekt vor de Moreton habe. Aber erzählt weiter!«
»Ihr habt recht. Seit ich ihn besser kenne, frage ich mich auch, wie mein Vater das bei ihm erreicht hat. Aber Ihr müßt wissen, ich war damals sterbenskrank und habe überhaupt keine Erinnerung an die Hochzeit.«
Sie sagte ihm alles, was ihr Vater ihr erzählt hatte. Sie schloß mit leiser Bitterkeit: »Damals dachte ich, er könnte vielleicht etwas für mich übrig haben. Nur ein ganz kleines bißchen, versteht Ihr? Aber da habe ich mich geirrt. Wahrscheinlich bin ich zu dumm, um seine Gründe zu verstehen.«
»Ihr seid doch nicht dumm!« sagte er scharf. »Ihr wollt mir erzählen, daß er dem Herzog von Cornwall den Wunsch abschlug, die Ehe annullieren zu lassen?«
»Ja. Allmählich glaube ich, er hat mich nur deshalb geduldet, weil er meinen Vater gut leiden kann. Und natürlich auch wegen Belleterre. Mein Vater hat ihn nämlich zum Erben eingesetzt, und Belleterre ist eine sehr reiche Besitzung.«
»Belleterre würde er auch erben, wenn er Euch verstoßen hätte. Zumindest könnte er mit Eurem Vater und Eurem habgierigen Vetter um den Besitz kämpfen.«
»Wahrscheinlich habt Ihr recht«, sagte Kassia nachdenklich. »Edmund, sagt, habt Ihr mich entführt, um ein Lösegeld herauszupressen?«
»Und wenn?« erwiderte er ruhig.
Sie zuckte die Achseln. »Ich wollte es nur wissen. Ich weiß aber nicht, was Graelam tun wird.«
Beim Zerberus, dem Höllenhund, sie war wirklich ein kleines Hühnchen! So unschuldig und vertrauensvoll wie ein Kind. Er hatte daran gedacht, sie zu vergewaltigen - welcher Mann hätte das nicht? Er hatte sogar erwogen, sie bei sich zu behalten, bis er ihrer überdrüssig werden würde, ja, sie vielleicht zu töten, um die Kosten einer Reise zur Bretagne zu sparen. Doch sie hatte Beschützerinstinkte in ihm geweckt. Und das beunruhigte ihn. »Ich bin Eures Geplappers müde.«
Sie zuckte zusammen, so barsch hatte er gesprochen, und er kam sich vor wie ein Mann, der ein kleines Tier getreten hat.
Er warf ihr eine Decke zu und begab sich zur anderen Seite des Lagerfeuers.
Sie wickelte sich in die Decke ein und rollte sich zusammen. Vielleicht würde er sie doch noch vergewaltigen. Vielleicht war seine angebliche Freundlichkeit nur ein Trick. Würde sie die Männer je begreifen können? Ihr letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß es zwischen ihrem Vater und Graelam zu einer blutigen Schlacht um den Besitz von Belleterre kommen würde.
Am nächsten Morgen bekam sie von Dienwald ein trockenes Stück Brot. Sie kaute darauf herum und wünschte, sie hätte einen Krug Milch dazu. Seit sie bei Tagesanbruch erwacht war, litt sie wieder unter furchtbarer Angst.
»Was wollt Ihr mit mir machen?« fragte sie ihn.
»Das sage ich Euch unterwegs«, erwiderte er.
Dienwald saß auf, und Ned hob sie zu ihm in die Arme. Sie richtete sich ein, so gut es ging, und wartete, daß er weitersprach.
»Warum laßt Ihr mich nicht meine Stute reiten?« fragte sie schließlich. »Ich kann Euch ja nicht entfliehen.«
»Ich weiß.«
»Bitte, Edmund, sagt mir, was Ihr mit mir vorhabt! Ich habe solche Angst.«
»Kassia, wenn ich Euch die
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