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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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mußte mich zunächst mit ihnen vertraut machen, bevor man mich als neues Zugtier mit vor die riesenhafte, weil zweieinhalbtausend Menschen beschäftigende Maschinerie spannen konnte.
    Ich verbrachte nur kurze Zeit in New Hampshire. Stewart Compton, der Dekan der Mathematischen Fakultät und zugleich ein alter Studienfreund von mir, lud mich ein, dort ein Ferienseminar für eine Doktorandengruppe zu leiten. Ich nahm das Angebot an, weil ich nur ganze neun Wochenstunden zu halten hatte und so tagelang die Wald- und Heidegründe durchstreifen konnte, und obwohl ich, recht besehen, einen vollen Urlaub verdient gehabt hätte, denn erst im Juni hatte ich meine anderthalb Jahre dauernde Zusammenarbeit mit Professor Hayakawa beendet, wußte ich doch genau, weil ich mich kannte, daß ich ohne wenn auch flüchtigen Kontakt zur Mathematik in denFerien keine Ruhe finden würde. Denn die Entspannung löst in mir als erste Reaktion stets Gewissensbisse ob der Zeitvergeudung aus. Im übrigen hat es mir immer Spaß gemacht, neue Jünger meiner ausgefallenen Disziplin kennenzulernen, über die es mehr falsche Vorstellungen gibt als über irgendeine andere.
    Ich kann nicht von mir sagen, ich sei ein »steriler«, das heißt ein »reiner« Mathematiker, denn oft genug haben mich auch fremde Probleme nicht losgelassen. Aus ebendiesem Grunde arbeitete ich weiland mit dem jungen Thornop zusammen (seine Leistung in der Anthropologie ist unterschätzt worden, weil er jung starb: Auch in der Wissenschaft ist die biologische Anwesenheit unerläßlich, weil, dem Schein zum Trotz, die Entdeckungen selbst nicht ausreichend aussagekräftig sind, um sich durch ihren eigenen Wert auszuweisen) und danach mit Donald Prothero (den ich zu meinem großen Erstaunen beim Projekt wiederfand) sowie mit James Phennyson (dem späteren Nobelpreisträger) und schließlich mit Hayakawa. Mit letzterem erstellte ich das mathematische Rückgrat für seine kosmogonische Theorie, die später durch einen seiner aufsässigen Schüler so unvermittelt mitten in das Projekt hineinplatzen sollte.
    Manche meiner Kollegen haben mir meine partisanenhaften Abstecher in die naturwissenschaftlichen Jagdgründe verübelt. Aber der Nutzen war für gewöhnlich beiderseitig: Die Empiriker hatten in mir eine Hilfe, aber auch ich gewann, indem ich ihre Probleme kennenlernte, allmählich einen Überblick, welche Entwicklungslinien unseres platonischen Reiches innerhalb der strategischen Hauptstoßrichtung in die Zukunft liegen.
    Man begegnet häufig der Meinung, in der Mathematik genüge das »nackte Talent«, weil sich sein Nichtvorhandensein unmöglich überspielen lasse, während in anderen Disziplinen Beziehungen, Moden, Protektion, schließlichdas Fehlen unumstößlicher Beweise, durch welche sich die Mathematik angeblich auszeichnet, bewirkten, daß die Karriere die Resultierende aus Begabung und Faktoren sei, die außerhalb der Wissenschaft liegen. Ich habe solchen Neidern stets erfolglos zu erklären versucht, daß es im Paradies der Mathematik leider so schön nicht zugeht. Die schönsten Gebiete der Mathematik, beispielsweise die klassische Mengenlehre von Cantor, sind jahrelang ignoriert worden – aus sehr unmathematischen Gründen.
    Weil jeder Mensch jemanden beneiden muß, habe ich bedauert, daß ich mit der Informationstheorie auf schlechtem Fuße stand, denn auf diesem Gebiet sowie im Reich der von den allgemeinen Rekursionsfunktionen absolut regierten Algorithmen waren phänomenale Entdeckungen zu erwarten. Die Geburtshelferinnen der Informationstheorie, die klassische Logik und die Boolesche Algebra, waren schon von Anfang an durch eine kombinatorische Schwerfälligkeit belastet. Daher hat es mit den mathematischen Mitteln, die aus diesen Regionen entliehen wurden, auch stets gehapert: Sie sind nach meinem Empfinden unhandlich, häßlich und plump, und man kommt mit ihnen nur ausgesprochen mühsam ans Ziel. Ich dachte mir, ich würde am besten über diese Dinge nachgrübeln können, wenn ich Comptons Angebot annahm; denn über die Perspektiven auf ebendiesem mathematischen Frontabschnitt sollte ich in New Hampshire ja reden. Es mag vielleicht befremdlich klingen, daß ich lernen wollte, indem ich Vorlesungen hielt, aber es ist mir schon manchmal so ergangen. In dem Spannungsfeld, das zwischen mir und einem ordentlich aktiven Auditorium entsteht, kann ich am besten denken. Darüber hinaus konnte ich wenig bekannte Arbeiten lesen, aber für die Vorlesungen mußte ich

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