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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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es am leichtesten, sich nach der VogelStrauß- oder der Pilatus-Methode in nichts einzumischen, was – selbst in seinen fernen Konsequenzen – ein Anwachsen des Vernichtungspotentials nach sich ziehen kann. Doch das, was wir nicht tun wollen, tun immer andere an unserer Statt. Es heißt, dies sei kein moralisches Argument – einverstanden. Man kann mit der Vermutung darauf erwidern, daß, wer einwilligt, bei solch einer Arbeit mitzumachen, und dabei voller Skrupel ist, sie im kritischen Moment auch zu mobilisieren vermag, und wenn selbst ihm das nicht gelingt, dann gibt es eine solche Chance gar nicht, weil ein anderer für ihn einspringen wird, der keine Skrupel hat.
    Was mich anbelangt, so gedenke ich nicht, mich auf die Art zu verteidigen. Ich habe mich von anderen Motiven leiten lassen. Wenn ich weiß, daß etwas unerhört Wichtiges und zugleich potentiell Gefährliches passiert, dann ist es mir noch immer lieber, an Ort und Stelle zu sein, als mit reinem Gewissen und leeren Händen abzuwarten, wie sich die Ereignisse entwickeln werden. Außerdem konnte ich nicht glauben, daß eine Zivilisation, die unvergleichlich weit über der unseren steht, eine Information in den Weltenraum geschickt haben sollte, die sich zur Waffe ummodeln ließe. Wenn die Leute vom Projekt anders dachten, berührte mich das nicht im mindesten. Und schließlich wardie Chance, die sich mir plötzlich bot, mit nichts vergleichbar, was ich vom Leben sonst noch zu erwarten hatte.
    Am nächsten Tag flog ich mit Grotius nach Nevada, wo schon ein Militärhubschrauber bereitstand. Ich war ins Räderwerk einer funktionstüchtigen und reibungslos arbeitenden Maschinerie geraten. Beim zweitenmal flogen wir ungefähr zwei Stunden beinahe ununterbrochen über Wüstengebiet im Süden. Grotius war bemüht, daß ich mich nicht wie das frisch angeworbene Mitglied einer Gangsterbande fühlte, und drängte sich darum auch nicht auf, er versuchte auch nicht, mich fieberhaft in irgendwelche dunklen Geheimnisse einzuweihen, die mich am Ziel erwarten würden.
    Von oben nahm sich die Siedlung wie ein unregelmäßiger, im Wüstensand versunkener Stern aus. Gelbe Bulldozer krochen wie Käfer durch die Dünen. Wir landeten auf dem Flachdach des höchsten Gebäudes in der Siedlung, die architektonisch keinen sehr erfreulichen Anblick bot. Sie bestand aus einem Komplex massiver Betonkästen, der schon in den fünfziger Jahren als Technik- und Wohnzentrum eines neuen Atomversuchsgeländes gebaut worden war, weil die alten Testgelände, je mehr die Stärke der Ladungen zunahm, nicht mehr zu gebrauchen gewesen waren. Selbst im fernen Las Vegas waren nach jeder größeren Explosion die Scheiben aus den Fenstern gesprungen. Das neue Testgelände hatte sich mitten in der Wüste, etwa 30 Meilen von der Siedlung entfernt befinden sollen, die gegen eine mögliche Druckwelle und radioaktiven Niederschlag gesichert worden war.
    Die gesamte bebaute Zone war von einem System zur Wüste hin ausgerichteter Schutzschirme umsäumt, die die Aufgabe hatten, die Druckwelle zu brechen. Sämtliche Gebäude waren fensterlos und besaßen doppelte Mauern, der Raum zwischen ihnen war wahrscheinlich mit Wasser gefüllt. Den Verkehr hatte man unter die Erde verlegt, dieWohngebäude und die für technische Zwecke vorgesehenen Gebäude waren oval projektiert und auseinandergerückt worden, um eine gefährliche Kumulation der Stoßkräfte infolge vielfacher Reflexion und Brechung der Druckwelle zu verhindern.
    Doch dies gehörte in die Vorgeschichte der Kolonie, denn noch vor Abschluß des Baus war ein Nuklearmoratorium erlassen worden. Damals waren die Stahltüren der Gebäude fest verschraubt, die Ventilationsschächte vernagelt, die Maschinen und Werkstatteinrichtungen in mit Schmieröl gefüllten Behältern verstaut und in die Kammern unter der Erde gebracht worden – unter der Straßenebene befand sich noch eine zweite Ebene: die der Lagerräume und Magazine, und eine dritte – die der Schnellbahn. Dieser Ort gewährleistete, daß man vollkommen abgeschirmt arbeiten konnte, und aus dem Grunde, vielleicht auch noch, weil sich so die mehreren hundert Millionen Dollar retten ließen, die für Beton und Stahl aufgewendet worden waren, wies jemand vom Pentagon ihn dem Projekt zu.
    Die Wüste war nicht bis ins Innere der Siedlung vorgedrungen, sondern sie hatte sie einfach zugeschüttet, so daß man am Anfang alle Hände voll zu tun hatte, um den Sand beiseite zu schaffen; wie sich

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