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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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allmählich die Überzeugung durchsetzte, daß man dringend wissenschaftliche Verstärkung brauche, hat man mir so viele Male so viele verschiedene Dinge erzählt, hat dafür so gewichtige Argumente ins Feld geführt, daß vermutlich nichts davon der Wahrheit entspricht. Ich verübelte es im übrigen meinen Kollegen, allen voran Yvor Baloyne nicht, mich übergangen zu haben. Wenngleich sie sich auch ziemlich lange nicht darüber im klaren waren, konnten sie in ihrer organisatorischen Arbeit doch nicht völlig frei schalten und walten. Natürlich wurde damals noch nicht offen eingeschritten oder spürbarer Druck ausgeübt. Schließlich lag die Regie für alles in den Händen von Spezialisten. Hinter dem Umstand, daß ich übergangen worden war, vermute ich einen Wink von höherer Warte. Denn das Projekt wurde beinahe sofort zum High Security Risk (HSR), also zur Operation erklärt, deren Geheimhaltung eine wesentliche Bedingung der Staatspolitik, der Staatsräson bildet. Selbst die wissenschaftlichen Leiter des Projekts, das muß hervorgehoben werden, erfuhren das erst nach und nach und zumeist einzeln auf den entsprechenden Beratungen, während derer man diskret an ihren politischen Verstand und ihre patriotischen Gefühle appellierte.
    Wie es dort in Wahrheit zuging, zu welchen Mitteln der Überredung, zu welchen Komplimenten, Versprechungen und Argumenten man dort griff, weiß ich nicht, denn diese Seite der Geschichte übergehen die offiziellen Dokumentemit einem wahrhaft vollkommenen Schweigen, und auch die Männer vom Wissenschaftlichen Rat rissen sich später, als wir schon zusammenarbeiteten, nicht darum, sich über jene halbe Vorbereitungsphase des »Master’s Voice«Projekts auszulassen. Wenn sich der eine oder andere etwas widerspenstiger zeigte, wenn die Hinweise auf Vaterlandsliebe und Staatsräson nicht genügten, kam es zu einem Gespräch »auf höchster Ebene«. Wobei – was für die psychologische Anpassung vielleicht das Wichtigste war – die hermetische Abriegelung des Projekts, sein Abgeschnittensein von der Welt, als reines Provisorium bezeichnet wurde, als zeitweiliger oder auch vorübergehender Zustand, der aufgehoben werden sollte. Das »saß« psychologisch, sage ich, weil trotz aller Vorbehalte, die der eine oder andere unter den Wissenschaftlern den Vertretern der Verwaltung gegenüber hegte, das Interesse, das einmal der Staatssekretär und dann der Präsident persönlich dem Projekt entgegenbrachten, die Worte wohlwollender Ermunterung, der Hoffnung, die man »in solche Köpfe« setze – weil dies alles zu einer Situation beitrug, in der sich klar gestellte Fragen nach dem Termin, dem Datum für die Aufhebung der Geheimhaltung unpassend, unhöflich oder gar primitiv ausgenommen hätten.
    Ich kann mir auch vorstellen, obwohl mir gegenüber nie jemand ein Sterbenswörtchen über dieses heikle Thema verlauten lassen hat, wie der ehrenwerte Baloyne seinen weniger erfahrenen Kollegen die Grundregeln der Diplomatie, des Zusammenlebens mit Politikern beigebracht haben mag und wie er mit dem ihm eigenen Taktgefühl den Augenblick hinausgezögert hat, da ich eingeladen und als Mitglied in den Rat aufgenommen werden sollte, indem er den Ungeduldigeren erklärte, zuerst müsse sich das Projekt noch größeres Vertrauen bei seinen mächtigen Schirmherren erwerben, und erst dann könne man damit so verfahren, wie es alle gelehrten Steuermänner des »MAVO« nachihrem Gewissen für richtig hielten. Ich bemerke dies übrigens nicht ironisch, weil ich mich in Baloynes Lage versetzen kann: Er wollte es nicht zu Reibereien auf beiden Seiten kommen lassen, und er wußte genau, daß ich bei jenen hohen Kreisen in dem Ruf stehe, ein unsicherer Kandidat zu sein. So war ich, als das Unternehmen anlief, nicht dabei, was mir im übrigen – wie mir hundertmal beteuert wurde – nur zum Vorteil gereichte, weil die Lebensbedingungen in der kuriosen, hundert Meilen östlich des Monte-Rosa-Massivs gelegenen »toten Stadt« zunächst noch äußerst primitiv waren.
    Ich habe mich entschlossen, die Ereignisse in chronologischer Reihenfolge darzustellen, deshalb will ich zuerst erzählen, was ich tat, kurz bevor ein Vertreter des Projekts bei mir in New Hampshire auftauchte, wo ich seinerzeit gerade Vorlesungen hielt. Das erscheint mir angebracht, denn ich stieß ja zum Projekt, als es bereits lief und sich schon zahlreiche allgemeine Konzeptionen herausgebildet hatten, ich hingegen war ein »blutiger Anfänger« und

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