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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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übrigens, wie ich weiß, nicht sonderlich darauf, diesen Posten zu übernehmen. Er war klug genug, um sich ausrechnen zu können, daß ein Konflikt, und zwar ein verteufelt unangenehmer, zwischen diesen beiden Kreisen, die er mittels seiner Funktion verbinden sollte, auf die Dauer nicht zu vermeiden war.
    Er brauchte sich dabei nur an die Geschichte des Projekts »Manhattan« und an das Schicksal der Leute zu erinnern, die dort die leitenden wissenschaftlichen Posten innegehabt hatten, und nicht an das der Generale. Während letztere schlechtweg befördert wurden und sich in aller Ruhe an ihre Memoiren machen konnten, handelten sich die ersteren mit merkwürdiger Regelmäßigkeit eine »Vertreibung aus beiden Welten«, aus der Politik und aus der Wissenschaft, ein. Baloyne änderte seine Meinung erst nach seinem Gespräch mit dem Präsidenten. Ich nehme nicht an, daß er sich durch irgendwelche Argumente hatte einlullen lassen. Die Situation, in der ihn der Präsident bat und er diese Bitte erfüllen konnte, war es ihm eben einfach wert, das Höchste zu riskieren – seine ganze eigene Zukunft.
    Im übrigen verfalle ich hier bereits in einen pamphletistischen Ton, denn von allem anderen abgesehen muß die Neugier eine wesentliche Triebkraft für Baloyne gewesensein. Eine gewisse Rolle spielte auch der Umstand, daß eine Ablehnung nach Kneifen ausgesehen hätte, und kneifen und sich dessen voll bewußt sein, bringt nur ein Mensch zuwege, der im täglichen Leben keine Furcht kennt. Ein Ängstlicher, Unsicherer findet nicht den Mut, sich derart erschreckend bloßzustellen und damit gewissermaßen auch sich selbst diesen Kardinalzug seines Charakters zu bestätigen. Doch auch wenn eine so geartete Verzweiflung zu seiner Entscheidung beigetragen haben sollte, so erwies er sich ja unbestreitbar als der rechte Mann auf jenem allerunbequemsten Posten des ganzen Projekts.
    Man hat mir erzählt, General Easterland, der erste Verwaltungschef des »MAVO«, habe ihm so wenig beizukommen vermocht, daß er freiwillig zurückgetreten sei. Baloyne aber wußte eine Atmosphäre um sich zu verbreiten, die ihm den Ruf eines Mannes eintrug, der nach nichts so sehr lechzt, wie dem Projekt den Rücken zu kehren, und er träumte so hörbar davon, daß Washington sein Rücktrittsgesuch entgegennähme, daß ihm Easterlands Nachfolger, da sie unerfreuliche Gespräche auf oberster Ebene vermeiden wollten, nachgaben, wo sie nur konnten. Als er sich sicherer im Sattel fühlte, kam er selber mit dem Vorschlag, mich in den Wissenschaftlichen Rat aufzunehmen; eine Rücktrittsdrohung war gar nicht mehr nötig.
    Unser Wiedersehen auf dem Dach fand ohne Reporter und ohne Blitzlicht statt; denn Publicity kam natürlich in keiner Weise in Betracht. Als ich aus dem Hubschrauber stieg, sah ich, daß er wirklich gerührt war. Er versuchte sogar, mich zu umarmen, was mir ein Greuel ist. Sein Gefolge hielt sich in gebührender Entfernung. Er empfing mich ein bißchen wie ein souveräner Herrscher, und ich hatte den Eindruck, daß wir beide gleichermaßen die offensichtliche Lächerlichkeit der Situation empfanden. Auf dem Dach war kein einziger Uniformierter dabei. Mich durchzuckte der Gedanke, Baloyne hätte sie, um michnicht zu verärgern, sorgsam versteckt, aber ich hatte mich getäuscht – freilich nur, was das Ausmaß seiner Macht betraf: denn er hatte sie aus seinem gesamten Hoheitsgebiet verbannt, wie sich später zeigte.
    An die Tür zu seinem Arbeitszimmer hatte jemand mit Lippenstift in riesigen Lettern COELUM gemalt. Er redete natürlich pausenlos auf mich ein, und er strahlte mit einemmal erwartungsvoll, als sein Gefolge wie vom Erdboden verschluckt hinter den Türen zurückblieb und wir einander in die Augen sahen – allein.
    Solange wir einander sozusagen mit rein tierischer Sympathie betrachteten, trübte nichts die Wiedersehensfreude. Später jedoch begann ich Baloyne auszufragen, welche Position das Projekt gegenüber dem Pentagon und der Verwaltung vertrete, konkret gesagt, wieweit man über die eventuellen Arbeitsergebnisse frei verfügen könne. Er versuchte, wenn auch ohne Überzeugung, sich jenes monumentalen Jargons zu bedienen, den das State Departement gebraucht, ich war also bissiger ihm gegenüber, als ich wollte, wodurch eine leichte Gereiztheit zwischen uns aufkam, die wir erst mit dem Rotwein (Baloyne muß Wein trinken) beim Mittagessen hinunterspülten. Später begriff ich, daß er durchaus nicht von der Bürokratie angesteckt

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