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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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war, sondern eine Redeweise gewählt hatte, die es erlaubt, ein Minimum an Inhalt in der größtmöglichen Anzahl von Lauten zu verpacken, denn sein Arbeitszimmer war mit Abhörgeräten gespickt, die das elektronische Unterfutter vermutlich sämtlicher Gebäude bildeten, die Arbeitsräume und Laboratorien inbegriffen.
    Das erfuhr ich erst einige Tage später von den Physikern, die sich nicht das geringste daraus machten. Sie hielten das für einen natürlichen Zustand, für ungefähr das gleiche wie den Sand in der Wüste. Keiner von ihnen tat im übrigen auch nur einen Schritt ohne seinen kleinen Gegenabhörapparat, und sie freuten sich tatsächlich wie die Kinder, daßsie die Fürsorge, mit der man sie so allseitig umgab, so einfach unterliefen. Aus humanitären Rücksichten, damit es jenen geheimnisvollen Beamten (ich habe sie niemals zu Gesicht bekommen), die sich hinterher alles, was da aufgezeichnet worden war, anhören mußten, nicht allzu langweilig wurde, hatte es sich eingebürgert, die Gegenabhörelektronik beim Erzählen von Witzen, besonders von unanständigen, auszuschalten. Doch das Telefon sollte man, so riet man mir, außer zur Verabredung von Stelldicheins mit den Mädchen aus der Verwaltung, tunlichst nicht benutzen. Personen in Uniform oder solche, die an Uniformen denken ließen, gab es, wie gesagt, weit und breit im ganzen Städtchen nicht.
    Der einzige Nichtwissenschaftler, der an den Sitzungen des Wissenschaftlichen Rates teilnahm, war Dr. (aber Dr. jur.) Wilhelm Eeney, der bestangezogene Mann des Projekts. Er vertrat Dr. Marsley (der wohl durch einen Zufall gleichzeitig ein Vier-Sterne-General war). Eeney wußte genau, daß besonders die jüngeren Wissenschaftler versuchten, ihn zu foppen, indem sie sich Zettelchen mit geheimnisvollen Formeln und Chiffren zusteckten oder, wenn sie ihn angeblich nicht bemerkten, ihre unerhört radikalen Ansichten austauschten.
    Die Streiche, die sie ihm spielten, ertrug er mit Engelsgeduld, großartig konnte er sich auch verhalten, wenn ihm jemand in der Hotelkantine einen Sender mit Mikrofon zeigte, der nicht größer als ein Streichholz war und den er unter der Steckdose in seinem Wohnraum hervorgepolkt hatte. Das alles miteinander fand ich nicht ein bißchen lustig, obwohl mein Sinn für Humor eigentlich recht gut entwickelt ist.
    Eeney verkörperte eine sehr reale Macht, und weder seine guten Manieren noch sein Faible für Husserl machten ihn mir auch nur im mindesten sympathisch. Er begriff sehr wohl, daß die Seitenhiebe, Witze und die kleinen Unhöflichkeiten, die ihn die Umgebung fühlen ließ, eine Art Ersatzhandlung waren, denn im Grunde genommen war ja er der schweigend lächelnde Spiritus movens des Projekts oder vielmehr dessen behandschuhte Obrigkeit. Er war wie der Diplomat unter den Eingeborenen, die versuchen, ihre ohnmächtigen Ressentiments an einer so ehrenwerten Person auszulassen, und die mitunter, wenn die Wut sie dazu treibt, sogar einmal etwas in Stücke reißen, zusammendreschen, der Diplomat jedoch erträgt derlei Demonstrationen mit Leichtigkeit, denn dazu ist er da, und er weiß, daß, selbst wenn man ihn beleidigt, ihm das nicht persönlich gilt, sondern der Macht, die er vertritt. Er kann sich also mit ihr identifizieren, was ihm sehr entgegenkommt, denn ein solcher Zustand der Persönlichkeitsaufhebung verschafft ihm das Gefühl einer dauerhaft gesicherten Überlegenheit.
    Menschen, die nicht sich selbst verkörpern, sondern nur ein bestimmtes greifbares und Gestalt gewordenes, im Grunde aber, wenn auch Hosenträger und Fliege tragendes, abstraktes Symbol darstellen, die lokale Vergegenständlichung einer Organisation, welche Menschen wie Dinge verwaltet, sind mir zutiefst zuwider, und ich bin nicht fähig, diese Gefühle in ihre scherzhafte oder auch sarkastische Entsprechung umzuwandeln. Und so machte Eeney von Anfang an einen Bogen um mich wie um einen bissigen Hund, denn er spürte das genau, sonst hätte er seine Funktion nicht ausüben können. Ich verachtete ihn, und er vergalt es mir gewiß überreichlich durch sein unpersönliches Gebaren, obwohl er stets ausnehmend höflich war; was mich natürlich nur noch ärger aus der Fassung brachte. Meine menschliche Hülle war für Männer wie ihn nur ein Überzug, der ein zu höheren, ihnen bekannten und mir nicht zugänglichen Zwecken erforderliches Instrument enthielt. Am meisten erstaunte mich an ihm, daß er tatsächlich irgendwelche Ansichten zu haben schien. Vielleicht

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