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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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war es übrigens auch nur eine glänzende Imitation.
    Noch weniger amerikanisch, noch unsportlicher war das Verhältnis, das Dr. Saul Rappaport, jener erste Entdecker der Sternenbotschaft, zu Eeney hatte. Er las mir einmal einen Ausschnitt aus einem Buch aus dem neunzehnten Jahrhundert vor, in dem die Zuchtmethoden für Schweine beschrieben waren, die zum Trüffelsuchen abgerichtet wurden. Es war ein sehr hübsches Kapitel, das in dem diesem Jahrhundert eigenen hochtrabenden Stil davon berichtete, wie sich der Verstand des Menschen, gemäß seiner Sendung, die triebhafte Freßlust der Schweine zunutze macht, denen man Eicheln vorwirft, während sie die Trüffeln auswühlen.
    Eine solche rationale Aufzucht stand, nach Rappaport, auch den Wissenschaftlern bevor, und sie wurde ja eben in die Praxis eingeführt, wie unser Fall bewies. Er setzte mir diese Prognose allen Ernstes auseinander. Einen Großhändler interessiert die geistige Erlebniswelt des abgerichteten Schweins, das den Trüffeln nachjagt, nicht. Jene Welt außerhalb der Arbeitsresultate der Schweine existiert für ihn nicht, und nicht anders verhalte sich die Sache mit uns und unseren Auftraggebern.
    Die rationelle Zucht von Wissenschaftlern werde zwar durch die Relikte von Traditionen, durch jene aus der Französischen Revolution geborenen weltfremden Ansichten erschwert, doch man dürfe hoffen, daß dies lediglich ein vorübergehender Zustand sei. Neben den vorbildlich eingerichteten Schweineställen, das heißt den funkelnden Laboratorien, gälte es nur noch, andere Mittel bereitzustellen, die uns von jeder denkbaren Frustration befreiten. Beispielsweise könnte ein Wissenschaftler seine Aggressionen in einem mit Puppen angefüllten Saal abreagieren, die Generale und andere Großmächtige vorstellten und sich glänzend zum Schlagen eigneten, desgleichen fände er besondere Örtlichkeiten vor, wo seine Sexualenergien absorbiert würden, und vieles andere mehr. Nachdem es sich da unddort ausgiebig entladen habe, meinte Rappaport, würde sich das gelehrte Schwein fürderhin reibungslos der Trüffeljagd widmen können, zum Nutzen der Herrscher und zum Verderben der Menschheit, wie es die neue historische Zeit von ihm verlange.
    Er hielt mit diesen Ansichten durchaus nicht hinterm Berg, und es machte mir Spaß, die Reaktion der Kollegen auf derlei Äußerungen zu beobachten, nicht auf den offiziellen Sitzungen, versteht sich. Die jüngeren fingen einfach an zu lachen, was Rappaport verdroß, weil er das alles ja eigentlich im Ernst dachte und sagte. Doch dagegen war kein Kraut gewachsen: persönliche Lebenserfahrung ist nicht übertragbar, ja sie scheint sich nicht einmal weitervermitteln zu lassen. Rappaport stammte aus Europa, das – nach seinen Worten – im magischen »Generals- und Senatorendenken« mit dem widerlichen »Rot« identisch ist. Und so wäre er auch niemals zum Projekt gestoßen, wenn er nicht unbeabsichtigt zu dessen Mitschöpfer geworden wäre. Nur aus Furcht vor »Leckstellen« hatte man ihn unserer Truppe beigegeben.
    Er war 1945 in die Staaten emigriert. Eine kleine Gruppe von Fachleuten kannte seinen Namen noch aus der Vorkriegszeit. Es gibt nicht viele Philosophen mit einer wirklich gründlichen mathematischen und naturwissenschaftlichen Ausbildung. Er aber gehörte zu diesen wenigen, und er erwies sich dadurch als ungeheuer nutzbringend bei den Arbeiten am Projekt. Ich wohnte im Hotel der Siedlung Tür an Tür mit Rappaport, und nach gar nicht langer Zeit trat ich zu ihm in näheren Kontakt. Er hatte sein Land als Dreißigjähriger verlassen, allein, weil seine gesamte Familie umgekommen war. Er sprach nie darüber, einen Abend ausgenommen, als ich ihn als einzigen Menschen in mein und Protheros Geheimnis einweihte. Ich greife den Ereignissen zwar vor, indem ich diese Geschichte hier erzähle, aber es erscheint mir angebracht. Ob deshalb, um mir meinVertrauen auf merkwürdige Weise mit Aufrichtigkeit zu vergelten, oder auch aus anderen, mir unbekannten Gründen – jedenfalls erzählte Rappaport mir damals, wie sich, in seinen Augen, eine bestimmte Massenexekution, ich glaube 1942, in seiner Heimatstadt abgespielt hatte.
    Man hatte ihn als zufälligen Passanten auf der Straße aufgegriffen. Erschossen wurden sie in Gruppen auf dem Hof eines Gefängnisses, das kurz zuvor bombardiert worden war und dessen einer Flügel noch brannte. Rappaport beschrieb die Einzelheiten dieser Aktion äußerst gefaßt. Die Hinrichtung selbst konnten

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