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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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mit einem rückläufigen Fersenhaken am Ohr, und sie trat überrascht zurück und grinste ihn durch ihren Zahnschutz wachsam an.
    »Das hast du früher nicht gekonnt«, sagte sie. Durch das Plastik nuschelte sie leicht.
    Steward spuckte seinen Zahnschutz in den Handschuh. »Erhabenheit. Standhaftigkeit. Ausdauer«, sagte er. »Lebensregeln für den erfolgreichen Kampfkünstler.«
    »Von wegen Erhabenheit«, sagte Reese. »Du hast dir die Nerven aufrüsten lassen. In der wirklichen Welt ist niemand so schnell.«
    »Ich hab's satt gehabt, daß du mich dauernd verdroschen hast«, sagte Steward. »Jetzt sind wir ebenbürtiger.«
    Er steckte den Zahnschutz wieder in den Mund und ging in eine Fünf-Schläge-Kombination, die ihm seine neuen Datenfäden empfahlen. Beim vierten Schlag durchbrach er Reeses Verteidigung, bevor sie mit ihrem Gegenangriff zum Zug kam, und mußte zurückweichen, um nicht von den Knöcheln ihrer herumsausenden Rückhand enthauptet zu werden. Er lachte durch seinen Zahnschutz. Vor sechs Wochen hätte er diesen Schlag einstecken müssen, nur um mit seinem Angriff durchzukommen.
    Die durch sein Gehirn laufenden und mit seinen Nerven verbundenen Fäden enthielten codierte künstliche Reflexe, Wissen über Techniken der Kampfkünste und entsprechende Bewegungsmuster sowie über Waffen und die Taktik kleinerer Kampfverbände. Das alles hatte er den Labors in Usbekistan zu verdanken. Es war besser, umfassender und moderner als das standardisierte Implantatwissen, das der Alpha als Eisfalke gehabt hatte und über das Reese jetzt verfügte; nach den Reflexen hatte Steward sich gesehnt, und wenn die Fadenimplantate sich als unzulänglich erwiesen, hatte er durch die Interface-Buchse in seiner Schädelbasis Zugang zu weiteren. Es war, als ob er eine kleine Armee im Kopf hätte, die Gewehr bei Fuß stand, wenn er sie brauchte.
    Er beschloß, Reese die Armee selbst entdecken zu lassen, einen unsichtbaren Soldaten nach dem anderen.
     
    Ricots riesige silberne Flanke reflektierte die leuchtend ockergelbe Kugel des Jupiter mit einer leichten Verzerrung, wie einen Hitzeschimmer über einer Metallegierung. Die Born schwebte neben der Station und wartete, bis sie in den polaren Docks an der Reihe war. Steward mußte einen Impuls zügeln, die Arme aus dem Andock-Cockpit herauszustrecken und den metallenen Planetoiden mit den Händen zu berühren. Das Bedürfnis pulsierte wie Blut durch seine Adern. Er war nahe dran.
    Ricot war das obsessive künstliche Endprodukt der Hybris von Kohärentem Licht, das Relikt eines Versuchs, die Zukunft der Menschheit physisch in den Raum jenseits des Gürtels zu verlagern, indem seine Erbauer ein so riesiges, vollendetes Gebilde schufen, daß die Sogwirkung schierer Ehrfurcht zukünftige Generationen dazu bringen würde, sich in ihr Gesamtbild einzufügen. Die Menschheit würde Ricot als ihren Tempel und Kohärentes Licht als ihren Messias annehmen, und Reichtum und Technologie würde vom Gürtel und den inneren Wirtschaftssystemen in Gebiete wechseln, die von den Äußeren Polikorps beherrscht wurden.
    So riesig er war, der Satellit hatte auch eine praktische Dimension. Der Jupiterraum war reich: Gewaltige, ferngelenkte Schaufelbagger schöpften die Rohmaterialien der neuen Kunststoffe von der Oberfläche seiner Atmosphäre ab, und die oberen Bereiche des Planeten waren reich an anderen Stoffen, von Wasserstoff bis zu Polypeptiden. Und auf den größeren und kleineren Jupitermonden gab es Mineralien in Hülle und Fülle.
    Aber hier war es auch gefährlich. Jupiters Größe machte jeden Zoll seines ausgreifenden Schwerkraftschachtes zu einem Schlachtfeld, die Strahlung stellte ein fortwährendes Risiko dar, und Gezeitenbeben erschütterten die Monde und bedrohten jede Anlage, in der Menschen leben konnten, mit plötzlicher Dekompression. Clevere Anleger hatten ihr Geld lange in den Gürtel gesteckt; man war der Meinung gewesen, daß die Erschließung dort einfacher war.
    Ricot war als Antwort gedacht gewesen, als großartiger Außenposten der Menschheit an der Grenze der alles verschlingenden Jupitergravitation. Der künstliche Mond kreiste jenseits aller Jupitersatelliten am Rand des Schwerkraftschachtes, außerhalb des Gefahrenbereichs größerer Gezeitenbelastungen, und war mit genügend Stein und legiertem Metall gepanzert, um das Eindringen genentstellender Strahlung zu verhindern. Er war groß genug, um die Jupiterbagger nicht nur zu reparieren und zu warten, sondern sie auch zu

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