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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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Stewards Abzweigung. Gehörte diese Information zum Programm der Drohne, oder mußte sie erst gegen das obere Ende des Schachtes stoßen?
    Stewards Mund war trocken. Er kam zu der Abzweigung des Tunnels und wartete auf den richtigen Moment. Er nahm die Krabbelgeräusche der Drohne wahr, die sich schachtaufwärts bewegte, das monotone, mentale rote Pulsieren des Radarsignals, das sich in seinem Tunnel ausbreitete, und am meisten von allem das Geräusch und die Hitze seines eigenen Pulsschlags.
    Eine Chance. Wenigstens würde es ein schneller Tod sein. Zum Teufel mit diesem Gedanken.
    Ein Leben, dachte er, ein Pfeil.
    Zuerst kamen die Antennen, Tastsensoren am Ende wippender Stengel. Zum Glück war das Ding nicht in Windrichtung. Dann plumpste einer der Füße des Dings, ein biegsamer Metalltentakel, in Stewards Tunnel und glitt ihm über einen Arm. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht zurückzuzucken.
    Konzentrier dich! dachte er. Alles bereit zu dem einen Stoß mit der rechten Hand. Der Körper eine zusammengerollte Feder, bereit, mit Stewards ganzem Gewicht und all seiner Zuversicht dahinter die Hand – den Pfeil – vorschnellen zu lassen. Der Pulsschlag in seinen Ohren war ein heulender Wind.
    Als nächstes kamen die Augen, glotzende Linsen, die in einen flachen, gepanzerten Kopf eingelassen waren, in dem sich auch die rostfreie, bis auf die Spitze eingezogene Giftnadel befand. Stummelartige Funkantennen saßen neben den Augen. Die Wolf bewegte sich schnell nach oben, voller Tod und unmenschlicher Zielstrebigkeit.
    Der Pfeil schnellte von der Sehne, eine Hand schoß vor, um der Wolf eine dünne Metallklinge zwischen den Kopf und den zylindrischen Rumpf zu rammen. Es gab einen Blitz und einen Lichtbogen, als sich elektrische Verbindungen schlossen. Steward erbebte innerlich, als er merkte, daß er nichts mehr sehen konnte, daß er geblendet worden war. Etwas schlug ihm ins Gesicht, und er wich zurück. Das rhythmisch blinkende rote Licht in seinem Kopf war erloschen.
    Sein Sehvermögen kehrte zurück. Die Wolf starb; ihre Giftnadel ragte aus dem runden Kopf und spritzte einen nachlassenden Sprühnebel aus Gift nach oben in den Tunnel. Steward hörte es wie Regen auf seinen Arm prasseln.
    Er zog seinen Arm zurück, und die Wolf fiel den Schacht hinunter. Steward hörte einen fernen Aufprall. Die Kondensatoren seines Anzugs signalisierten ihm, daß sie leer waren. Er steckte das Messer wieder ein und kroch in den Schacht.
    Stewards Nerven schrien vor Adrenalin, und er brauchte alles davon, als er im Schacht nach unten stieg, die Drohne packte und sie hinter sich herschleifte, während er durch das Hauptrohr rannte. Er wollte nicht, daß dieses tote Ding irgendwo in der Nähe seines Ziels gefunden wurde. Ihr Funksignal war jetzt erloschen, und wenn sie sich nicht planmäßig meldete, würden andere Drohnen und deren menschliche Gebieter sich zu ihrem letzten Standort begeben.
    Eine Schabenkolonie spritzte unter seinen Füßen auseinander. Er rannte das Hauptrohr entlang, erst unter einem, dann unter einem zweiten senkrechten Schacht hindurch. Ein Gitter hallte unter seinen Füßen. Er hob es hoch und warf die Drohne dort in einen weiteren Schacht. Er öffnete eine Tasche und nahm einen kleinen Schraubenzieher heraus, den er der Drohne hinterherwarf. Vielleicht würde es so aussehen, als hätte jemand ein Werkzeug in dem Schacht vergessen, mit dem die Drohne dann irgendeinen absonderlichen Unfall gehabt hatte. Wenn in dem Schacht sonst alles in Ordnung war, würden die Sicherheitsleute sich vielleicht sogar dazu entschließen, dieser Theorie Glauben zu schenken, statt ein halbes Hundert Berichte ausfüllen zu müssen, in denen sie darlegten, daß sie nicht wußten, warum ihre Drohne verlorengegangen war.
    In der Nähe war eine Zugangstür. Es war nicht diejenige, durch die Steward hereingekommen war, aber er wollte schnell hinaus. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit und sah im Dunkeln einen Raum voller Wartungsgeräte, die dort lagerten. Er zwängte sich hinaus und schloß die Zugangstür hinter sich, dann zog er den wärmedämmenden Mantel aus. Die Luft war kühl und angenehm. Er rollte den Mantel zu einem Bündel zusammen, wickelte Klettstreifen drum herum und verließ den Raum.
    Blut trocknete im T-Shirt unter seinen Armen. Niemand schien es zu bemerken.
     
    Am nächsten Tag trieb er sich wieder in den Korridoren von Ricot herum und versuchte den Rhythmus ausfindig zu machen. Er hatte sich nicht geändert.

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