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Die Stimme des Wirbelwinds

Die Stimme des Wirbelwinds

Titel: Die Stimme des Wirbelwinds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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klebte reglos an einer Wand. Ein Kristallvideo war an einer Stelle in die Decke eingelassen, daß man es vom Bett aus anschauen konnte, mit einer Kamera, falls man sich selbst zu betrachten wünschte. Das Telefon blinkte ihn in langsamem Calypso-Tempo an. Er hob ab.
    Reeses Stimme, ein tiefer Alt aus dem amerikanischen Mittelwesten. »Hi. Hier ist Reese. Ich bin den ganzen Tag beim Tauchen, aber wenn Sie zum Essen noch nichts vorhaben, treffen wir uns um sechs im Speiseraum.«
    Steward sah auf die Uhr. Drei Stunden. Er schaute zu dem Gecko an der Wand hinauf und roch die Brise, die durchs Fenster hereinwehte. Er erinnerte sich an Port Royal, an die Berührung von warmem Wasser, an Sängerinnen, die ihre Hymnen in die Passatwinde trällerten, an das Ziggurat jenseits der Bucht, das schwarz über der glühenden Stadt hockte … Damals hatte er seine Ausbildung im Einnehmen und Halten bekommen. Wochenlang war er durch endlose Metallflure und die heißen Straßen der Stadt marschiert und hatte gelernt, was in einem städtischen Kampfgebiet wichtig war.
    Einnehmen und Halten, dachte er. Er hatte geglaubt, er hätte den Drill intus, aber irgendwie waren ihm die Dinge, auf die es ankam, allesamt vor Jahren entglitten, und jetzt war er eine Million Meilen von dort entfernt, wo er sein wollte, stand in einem weiß getünchten Zimmer und beobachtete einen Gecko und hoffte, er würde sich schließlich bewegen und für etwas Unterhaltung sorgen. Alles, was er tat, war, die Trümmer eines anderen Mannes aufzusammeln und zu hoffen, daß es genug waren, um sie wieder zusammenzusetzen und als ein Leben zu bezeichnen.
    Reese war ein Mittel zum Zweck, dachte er, so wie andere es auch gewesen waren: Ashraf, Ardala und Griffith. Sprossen auf einer Leiter, die ihn nach oben bringen würde, heraus aus dem Schwerkraftschacht und außer Reichweite der karibischen Passatwinde, dorthin, wo andere Winde wehten, wo Menschen waren, auf die es ankam. Natalie, de Prey. Und Curzon, bis jetzt nur ein Name. Menschen, in denen er ein Spiegelbild von sich selbst und von dem Alpha sehen konnte.
    Der Gecko rührte sich immer noch nicht. Steward warf seine Tasche aufs Bett, ging ans Fenster und blickte zu den Divi-Divi-Bäumen und dem Ozean dahinter hinaus. Der Strand sah aus, als ob er nur aus Sand, Felsen und Eidechsen bestünde. Er beschloß, ihm trotzdem einen Besuch abzustatten.
     
    Steward hatte ein Video von Ardala gesehen, in dem es darum ging, wie man sich bei einem Vorstellungsgespräch präsentierte. Das Video gab Ratschläge, was man anziehen, wie man sich benehmen, wie man dasitzen und wie man lächeln sollte. Zwei Männer in konservativen dunklen Jacketts ohne Revers spielten mit – der eine jünger, der andere älter. Der ältere trug Wickelgamaschen, eine Mode, die während der Anpassungsphase nach dem Krieg aufgekommen und wieder verschwunden war. Steward erinnerte sich, daß der jüngere Mann sich den Job damit gesichert hatte, daß er sich wie der Interviewer für Hallentennis interessierte. Der Film nannte das »eine Beziehung zum Gegenüber herstellen.« Steward konnte sich jedoch beim besten Willen nicht erinnern, daß der Film irgendeinen nützlichen Rat gegeben hätte, wie man auf der Terrasse einer Hotelbar auf einer karibischen Insel mit der Maschinistin eines Binnensystem-Frachters zusammentraf, um ihr eine Bestechungssumme anzubieten, damit man einen Job bekam.
    Auch gut, dachte Steward. Jemand bestechen war eine Fähigkeit, die man am besten lernte, indem man es tat.
    Als Reese kam, hatte Steward weiße Tropenkleidung an und saß mit seiner dritten Piña Colada auf der Terrasse des Speiseraums. Reese schien Mitte dreißig zu sein, etwa einen Zoll größer als Steward, drahtig, mit kleinen Brüsten und einem Gang, der ihre langen Beine zur Geltung brachte und vor Selbstbewußtsein strotzte. Ihre Haare waren kurz und von dunkler Bronzefarbe, die die Sonne in Kupfer verwandelte. Sie trug eine weiße Trägerhose aus Baumwolle, Sandalen und ein ärmelloses buntes Hawaiihemd. Steward sah den dunklen Flaum unter ihren Armen. Sie hatte silberne Knöpfe in den Ohren, von denen Ringe herunterhingen, die vor ihrem Hals glänzten. Auf ihren Wangen waren verblassende Druckstellen, wo sich das Masken-und-Kühlrippen-Aggregat in ihre Haut gegraben hatte. Sie hielt einen hohen, eiskalten Drink von zartgoldener Farbe in der Hand.
    »Probieren Sie den gegrillten fliegenden Fisch«, sagte sie. »Der Muschelsalat ist auch nicht

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