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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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einfach nicht mehr auf, und so unterließen wir es ganz. Es ging mir immer durch und durch, wenn ein Fremder uns daran gemahnte, wie schlimm es eigentlich aussah.
    »Leider verlohnt dieses Haus das Segnen nicht mehr«, seufzte ich und blickte mich um.
    »Wirklich zu schade, weil ich nämlich –« hier brach er ab, aber ich wußte schon, was kommen würde. »Weil«, fuhr er fort, »ich, hmm, gehofft hatte, ich könnte – etwas – später bezahlen.«
    Ich wußte, was man darauf antwortete, und so war ich zwar enttäuscht, andererseits aber wollte ich mich auch beweisen.
    »Ich mache es um Christi willen«, sagte ich. Seine Miene hellte sich auf.
    »Und Ihr seid auch gewiß so gut wie die Ältere? Meine Frau und ich sind erst eineinhalb Jahre verheiratet, und beim ersten sollen sie sich immer am schwersten tun.«
    »Das kommt darauf an, wie kräftig die Mutter ist«, sagte ich beschwichtigend.
    »Gut, ich komme wieder und segne Euer Haus auf jeden Fall. Es gibt kein Haus, welches das Segnen nicht mehr verlohnt. Vielleicht braucht dieses nur einen längeren als gewöhnlich.«
    »Kann sein. Es steht nämlich zu befürchten, daß es mit den Vorbewohnern kein gutes Ende genommen hat.«
    So war es denn abgemacht, und als die schwere Stunde für seine Frau gekommen war, da holte er mich persönlich ab, und ich mußte mich sputen, daß ich mit seinen langen Beinen Schritt hielt, während er durch die Straßen zu einer Gasse eilte, die der unseren fast aufs Haar glich, nur daß sie in einem anderen Teil von Cornhill gelegen war, wo er in einer baufälligen Hütte lebte. Die Entbindung war nicht weiter schwer, doch wie es so geht, dauerte sie länger, wie meistens beim ersten Kind, und sie hatte eine Todesangst. Als beide, Mutter und Kind, wohlbehalten im Bett lagen, ging ich zu ihm. Er wartete im zweiten Zimmer der Kate auf mich, den Kopf auf die Hände gelegt.
    »Mutter und Kind geht es gut, Ihr habt ein Mädchen«, sagte ich. Er blickte auf, und ein freudiges Strahlen ging über sein langes Gesicht.
    »Wirklich? Ich habe gedacht, als ich die Schreie hörte –«
    »Nein, es geht ihnen gut, beiden geht es wirklich gut.« Ich folgte ihm nach nebenan und sah voller Neid den zärtlichen Ausdruck auf seinem Gesicht, als er beide anstaunte.
    »Ja, ist die aber hübsch«, bewunderte er das Kind, und seine Frau lächelte glücklich. Insgeheim dachte ich bei mir: ›Wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich wäre eine Liebesheirat eingegangen wie die beiden da – und wenn ich das nicht haben kann, dann will ich auch nicht heiraten.‹ Doch das Schicksal lehrte mich später, daß eine Frau nur selten die Wahl hat, wenn Männer das Recht zu bestimmen für sich in Anspruch nehmen.
    Von jetzt an wandten sich die Dinge für mich zum Besseren, denn der erste Kunde empfiehlt immer die übrigen. Und dieser schäbige Priester kam wirklich herum. Manchmal sah ich ihn wohl an einer Straßenecke, wo er die Vorübergehenden vor der Sünde warnte, und sein fadenscheiniges Gewand flatterte dabei im Wind. Er hatte eine Anzahl von Lieblingsthemen, von denen einige ihn in den Stock bringen konnten, und ich habe keine Ahnung, wie er ihm entging. Er sagte, die Sünden der Wohlhabenden und Großen hätten die Pest über uns gebracht, und er prangerte die Selbstsüchtigkeit der Reichen ebenso an wie die der karrieresüchtigen, ehelosen Geistlichkeit. »Keuschheit ohne Barmherzigkeit«, so nannte er das; und er sagte, daß die Käufer von Ablaßbriefen der Hölle nicht entgingen, denn nur Gott könne vergeben und das ohne Ansehen des Geldes. Die Armen hörten ihm gern zu, und mehr als einmal sah ich, wie sich die Menge um ihn schloß und ihn aus der Gefahrenzone wegbrachte, wenn es so aussah, als ob die Behörden zugreifen wollten. Und das war das Problem mit den neuen Kundinnen, die er mir schickte – sie waren alle so arm wie er und bezahlten in Naturalien. Doch immer noch besser als gar nichts, und so sah denn das Leben langsam wieder etwas rosiger aus.
    Es zeugte vielleicht für unseren neuen Wohlstand, daß alles Unbehauste zu spüren schien, in diesem schmalbrüstigen Haus in dieser Gasse könnte es willkommen sein und eine Mahlzeit vorfinden. Als ich eines Morgens draußen Moll füttern wollte, stellte ich fest, daß eine schäbige, orangefarbene Katze mit eingerissenem Ohr und fehlendem Schwanz die Nacht im Schuppen verbracht hatte. Schmeichlerisch wie Katzen nun einmal sind, strich sie mir mit ihrem mageren Leib um die Beine, bis sie sich etwas

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