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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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verlöre ich an einer hochgelegenen Stelle das Gleichgewicht, mein Geist wollte nicht länger standhalten. Ich stürzte ab, mitgerissen vom Sog des Todes, und fiel mit einem leisen Schrei aufs Bett. Ich war verloren. Ich weiß nicht, wie lange ich so lag. Ich erinnere mich nur noch, daß John meine Hände mit seinen großen Pranken vom Gesicht seiner Tochter fortriß, mich hochzog und mir ins Gesicht schlug, daß ich wieder zu mir käme. Meine Augen waren aufgerissen, starrten groß und glasig, aber ich war gänzlich blind. Ich konnte fühlen, wie er mich schüttelte und ein anderes Händepaar – wessen Hände? – nach meinen griff. Nach und nach konnte ich über mir Johns großen Bart ausmachen, dann seine wilde, verzerrte Miene, die Wut oder Freude bedeuten konnte.
    »Seht nur! Seht!« sagte er und hielt meinen Kopf hoch, daß ich schauen konnte. »Seht Ihr es denn nicht? Sie lebt! Sie ist rosig, sie hat wieder Farbe, und sie atmet tief, so als schliefe sie! Seht nur, seht, was Ihr getan habt!«
    Ich konnte nicht sprechen. Ich war vollkommen erschöpft und so weiß wie ein Laken. Irgendwie hatte sie mir von meiner eigenen Lebenskraft soviel ausgesogen, daß sie wieder lebte. Wie um alles auf der Welt war das geschehen? Ich wußte es nicht. Doch der Wunder Gottes sind viele.
    Wild wanderten meine Blicke umher, und da merkte ich auch, wer meine schlaffen Hände hielt. Es war der Priester, Vater Edmund.
    »Wie habt Ihr das gemacht, meine Tochter?« fragte Vater Edmund sanft.
    »Ich weiß es nicht. Mit Gebet, glaube ich.«
    »Mit Gebet? Wie betet Ihr? Zu welchen Heiligen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bete zu Gott durch Jesus oder die Muttergottes. Jedenfalls glaube ich, daß ich das mache.«
    »Woher kennt Ihr Gott? Habt Ihr studiert? Geht Ihr regelmäßig zur Kirche?«
    »Ich weiß es nicht, Vater. Ich bin bloß eine arme Frau, ich kann nicht lesen und habe nie studiert. Ich gehe aber immer zur Messe, naja, wenn ich kann, denn ich verdiene mir den Lebensunterhalt als Wehmutter zu seltsamen Tageszeiten.«
    »Laßt Euch von dieser kleinen Wehmutter nicht hinters Licht führen, Vater. Sie hat das Hirn eines Mannes und den Mut einer ganzen Legion! Ei, ich selber habe zu ihr gesagt, sie würde einen guten Waffenschmied abgeben, wenn sie nicht mit dem falschen Geschlecht auf die Welt gekommen wäre.« Master Johns kräftige Stimme brachte mich vollends wieder zu sich. Auf einmal fiel mir meine furchtbare Feuerprobe in Sturbridge wieder ein, und schon wollte die Angst wieder nach mir greifen, als ich das schwarze Gewand des Priesters sah. Aber sein Gesicht wirkte durchaus freundlich, wenn auch zutiefst verwundert.
    »Kleine Wehmutter, was Ihr in dieser Nacht getan habt, das macht Euch zu einer reichen Frau«, sagte John und zog mich vom Bett, auf dem ich zusammengebrochen war, wieder auf die Knie, während er selbst sich auch erhob.
    »Nein, John von Leicestershire, ich habe es nur um Christi willen getan, so wie Ihr einst die Waffe gegen den Tod geschmiedet habt.« Die Waffe! Wo war sie? Ich kam hoch, wollte nach ihr suchen. Da lag sie auf dem Bett und schimmerte in den Falten der blutigen Leintücher. Hastig schlug ich sie ein und legte sie in meinen Korb, denn ich hatte Angst, ich könnte sie verlieren. Morgen würde ich sie säubern. Der Priester sah mir mit fragendem Blick zu. Nachdem der Arzt viele lateinische Worte über den Säugling gesagt und eine gefährlich aussehende Medizin zu seiner Stärkung hervorgeholt hatte, gesellte er sich zu uns.
    »Ah! Eine bemerkenswerte Wendung!« Er befühlte den Kopf der Frau im Bett und redete dann Latein mit dem Priester. Letzterer antwortete mit noch mehr Latein. Der Arzt wartete schweigend neben John, bis diesem aufging, daß es an der Zeit war, die Rechnung zu begleichen. John zählte ihm Münzen in die Hand, und als der Mann gegangen war, brummte er:
    »Allerhand Geld für Blutegel, blödes Latein und bittere Arzneien. Da lob ich mir Bruder Malachi. Seine Quacksalberei richtet zumindest keinen Schaden an.« Dann fiel ihm bei meinem Anblick wieder ein, was er gerade hatte tun wollen.
    »Da Ihr kein Honorar wollt, kleine Wehmutter, so werdet Ihr doch wenigstens etwas von mir annehmen, das für mich keinerlei Wert hat, vielleicht aber für Euch.« Er ging mir mit einer Kerze voraus, und ich folgte ihm mit dem Priester dicht hinter mir. Er führte uns zu einer eisenbeschlagenen Lade in seinem eigenen Schlafzimmer, welche er mit einem Schlüssel öffnete.
    Er ging in die Knie

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