Die Stimme
Gasse ein. Vater Edmund schüttelte den Kopf, drehte sich um und blickte das Brennende Kreuz an. »Hmm. So viele Möglichkeiten, aber auf die bin ich nie gekommen«, sagte er bei sich. Vor unserer Haustür stieg er elegant ab, und ich rutschte von meiner mausgrauen Stute.
»Wenn Ihr das überprüfen wollt, warum berührt Ihr es dann nicht?« Ich nahm das Kreuz in die Hand und hielt es ihm hin, behielt die Kette aber um den Hals. Er wirkte erschrocken, streckte aber vorsichtig einen Finger aus, stupste es an und nahm es dann in die Hand.
»Seht Ihr?« sagte ich, als wir vor meiner Tür standen.
»Es kommt aus Byzanz. Das kann man am Muster erkennen. Es ist sehr alt«, sagte er, wobei er es immer noch in der Hand hielt und hin- und herwandte, um es eingehender zu prüfen.
»Byzanz? Ist das weit weg? Davon habe ich noch nie gehört.«
»Es scheint allerlei zu geben, wovon Ihr noch nie gehört habt. In Byzanz hielt man sehr viel von Gift. Kann sein, Ihr seid eine ausnehmend gescheite Frau.«
»Entweder das, oder Ihr ein ausnehmend heiliger Mann.«
Er lächelte beifällig.
»Vielleicht möchte ich ja lieber ein ausnehmend heiliger Mann sein. Lebt wohl, Margaret. Und wenn ich von einer schweren Geburt höre, dann werde ich nach der kleinen Wehmutter in der Diebesgasse schicken.«
Bruder Gregory setzte die Feder ab und blickte zu Margaret hoch, die jetzt neben ihm stand und ihm beim Schreiben zusah.
»Ich wußte gar nicht, daß Ihr John von Leicestershire kennt«, sagte er.
»Ich kenne eine Menge Leute. Wehmütter kommen viel herum.«
»Anscheinend. Und doch finde ich, eine anständige Frau läßt sich nicht in einer Waffenschmiede blicken.«
»Hängt das nicht davon ab, was anständig ist? Vielleicht stimmen ja nur unsere Vorstellungen von anständig nicht überein, Bruder Gregory.« Sie unterhielt sich mit seinem Nacken, da er sich damit beschäftigte, das Tintenhorn zu verschließen, während noch die letzte Seite trocknete.
»Hab ich mir schon gedacht, daß Ihr das sagen würdet, Margaret«, bemerkte er friedfertig. »Ich wollte Euch nur aushorchen. Ich glaube, daß Ihr, die Ihr soviel gesehen habt, mittlerweile die weibliche Tugend der Bescheidenheit zu schätzen wißt. Wenn Ihr Eure Vorwitzigkeit nicht im Zaum haltet, handelt Ihr Euch nichts als Ärger ein.«
Ganz unerwartet machte Margaret ein langes Gesicht und sah sehr betrübt aus. Bruder Gregory bemerkte den Blick.
»Ich will Euch damit nicht wehtun, Margaret, ehrlich nicht«, entschuldigte er sich. »Ich weiß, daß ich zuweilen bissig bin. Aber Ihr – und auch Kendall, wandert auf einem schmalen Grat. Ihr wollt frei sein, und er denkt, daß Heiden wie Brahmanen tugendhaft sind. Damit könnt Ihr nämlich Leute vor den Kopf stoßen. Einflußreiche Leute.«
»Lieber Bruder Gregory«, sagte Margaret und legte eine weiße Hand auf seine große, tintenbekleckste. »Niemand weiß das besser als ich.« Etwas am Ton ihrer Stimme rührte Bruder Gregory so sehr, daß er sogar vergaß, seine Hand wegzuziehen. Er blickte sie ernst an. Sie wußte zuviel; sie verbarg etwas Schmerzliches, und er wollte nicht in sie dringen. So wechselte er taktvoll das Thema und sagte:
»Dann ist also das Kreuz, welches Ihr tragt, das berühmte Brennende Kreuz? Ich habe schon davon gehört, doch ich wußte nicht, wie es aussah. Eine mystische Hand soll es sich ja geholt haben, sie manifestierte sich aus der Luft, als klar wurde, daß niemand tugendhaft genug war, um es tragen zu können.«
»Eine Hand? Ach, das ist doch zu albern. John der Waffenschmied hat es sich für eine ungedeckte Schuld geholt, und ich trage es ständig. Ich mag es sehr gern.« Margaret war zur Tür gegangen, um ihren Hund hereinzulassen, der vor der Tür jaulte und kratzte. Sie befahl ihm, sie nicht mehr anzuspringen und sich zu setzen und wandte sich dann wieder Bruder Gregory zu, der mit dem Leseunterricht beginnen wollte. Er warf einen Blick auf das Kreuz, und dann huschte etwas – etwa ein Anflug von Röte? – über sein Gesicht.
»Also – ich – ich hätte da einen Wunsch«, sagte er und blickte auf einmal seine Zehen an.
»Ihr wollt es auch anfassen?« Margaret lachte. Wenn sie lachte, sah sie gleich ganz anders aus. Wie ein kleines Mädchen, das nie erwachsen werden würde.
»Macht nur! Los! Es beißt nicht.« Sie streckte es ihm hin, doch die Kette behielt sie um den Hals wie bei Vater Edmund an jenem Epiphaniasmorgen vor langer Zeit.
Gregory öffnete die linke Hand und schloß die
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