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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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könnte das schon sein?« fragte sie ängstlich.
    »Die Art von Neuigkeit, die alte Weiber gern hören. Pfäffische Neuigkeiten«, spottete Vater.
    »Heraus damit, oder du mußt dir den Kopf zurechtflicken lassen«, sagte Mutter und griff drohend nach ihrer Bratpfanne.
    Jetzt lachten Rob und Will über Vater; alles war wieder im Lot.
    »Also, Hochwürden Ambrose sagt, wir brauchen kein Schulgeld mehr zu zahlen.«
    »Heilige Jungfrau Maria, sie haben ihn rausgeworfen.« Mutter machte ein betrübtes Gesicht und mußte sich setzen.
    »Woanders hingeworfen trifft es wohl besser«, hänselte sie Vater erbarmungslos.
    »Lieber Gott, doch nicht ins Gefängnis! Was könnte er denn verbrochen haben?« schluchzte sie.
    »Nee, Mutter, das nun auch wieder nicht«, sagte Bruder Rob. Will knuffte ihn und lachte stillvergnügt.
    »Sag es mir, sag es mir auf der Stelle, oder ich laufe stracks zu Hochwürden Ambrose«, schrie Mutter.
    »Hör auf, deine Federn zu sträuben, Weib. Es ist wieder einmal eine dieser ›Auszeichnungen‹ von Hochwürden Ambrose.« Vater blickte sie überlegen an. »Es scheint einen Ort noch höherer Gelehrsamkeit zu geben. Höherer, höherer Gelehrsamkeit. Höchster, allerhöchster Gelehrsamkeit. So hoch, daß selbst dieser säuselnde Pfaffe die Augen gen Himmel verdrehen muß, wenn er davon spricht. Jedes Jahr schickt der Abt zwei Jungen dorthin und bezahlt für sie, doch so manches Jahr ist kein Junge heilig oder hochgestellt genug –« (und hier hielt er sich die Nase zu, als röche er ranziges Fleisch), » – um dorthin geschickt zu werden. In diesem Jahr gibt es nur einen. Natürlich David. Unseren kleinen Master Liebkind persönlich.«
    »Hat Hochwürden Ambrose David gesehen?« unterbrach ich begierig. »Geht es ihm gut, ist er dort glücklich?«
    »Er hat ihn gesehen, und es geht ihm sehr gut. Er wächst zusehends! Die Mönche essen besser als wir, die Blutsauger, die.«
    »Dieser Ort, wohin er geht, ist der furchtbar prächtig?« fragte ich. Mutter schwieg nachdenklich.
    »Nach dem, was Hochwürden Ambrose sagt, ist es dort fast wie im Himmel. Er ist in der Stadt Oxford und schimpft sich Universität, und ein Mann, der dort studiert, so sagt er, dem stehen alle Türen offen. Aus David könnte eines Tages ein großer Mann werden. Ein großer Gelehrter oder ein Kirchenfürst. Wenigstens sagt das der Pfaffe, der Schöntuer, der.«
    Ein Kirchenfürst! Nichts, aber auch gar nichts war gut genug für einen Jungen wie David! Mutter sah wie betäubt aus. Dann machte sie plötzlich den Mund auf.
    »Wenn davon nur ein Teil wahr ist, Alter, dann sind wir gemachte Leute. Denn Fürsten lassen die Ihren nicht verkommen.« Vater nickte zustimmend.
    »Aber – aber die Reise. Sie ist lang und gefährlich. Wie kommt er dorthin? Wo wohnt er da?« Beim Gedanken an den Verlust eines solchen Schatzes, von dem sie sich soviel Gewinn versprach, wurde ihr angst und bange.
    »Alles geregelt. Wir brauchen uns um nichts zu kümmern. Im Oktober schickt die Universität ihre ›Abholer‹, alle gut bewaffnet, welche die Jungen überall aus England zusammenholen. Der Abt bezahlt die Reise. Dann wohnen sie in einem Haus mit einem Master, der sich um sie kümmert. Der Abt bezahlt auch dafür. Sie lesen bedeutende Bücher und lernen Bedeutendes. Der Abt bezahlt für alles. Ist ganz einfach. Und wenn er fertig ist, kommt er als Fürst zurück.«
    »Dann halt meine Hand, denn uns ist das Glück hold.« Und zwei Wochen lang gab es keinen Streit mehr zwischen Vater und Mutter.

    »In Oxford hätte ich selbst gern studiert«, bemerkte Bruder Gregory friedfertig, während er den letzten, wohlgefügten Satz zu Papier brachte.
    »Dann habt Ihr es also gesehen?« fragte Margaret.
    »Ja, ich bin in Oxford gewesen und habe da einst ein sehr schönes Buch gekauft, doch das Schicksal hat es nicht gewollt, daß ich dort studierte.«
    »Ihr besitzt Bücher?«
    »Im Augenblick nur eins für mich. Das Buch, welches ich damals erstanden habe, war ein Geschenk, das ich für jemanden kaufen sollte. Aber die Universität ist ein herrlicher Ort. Selbst im Ale-Ausschank wird noch gelehrt disputiert.« Bruder Gregory konnte sich allmählich nicht mehr des Gefühls erwehren, daß er Margaret wohl doch ein klein wenig ernster nehmen müsse. Schließlich hat nicht jede Frau – auch wenn sie zuviel redet – einen Bruder, der ein echter Gelehrter ist. Er würde zweifellos noch viele ermüdende Seiten hinter sich bringen müssen, ehe sich herausstellte,

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