Die Stimme
dabei vor sich hin. Er war auf dem Weg nach Little Britain, jenem schmuddeligen Gewimmel von Gäßchen jenseits der Stadtmauer, wo sein Freund Nicholas seinen Laden hatte. Er war nicht das größte oder beste seiner Art, doch der Gedanke, bei jemand anders zu kaufen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen: Nicholas war der einzige Mensch, der ihm bei seiner Ankunft in der Stadt gern Kredit gewährt hatte, und er schuldete ihm mehr als nur Geld. Außerdem war er stets für eine anständige Unterhaltung gut. Man wußte nie, wer vorbeikommen und sich die Bücher anschauen oder Papier und Tinte kaufen würde; in der Regel wurde dort allerdings mehr disputiert als verkauft. Zuweilen ging es bei einem hitzig diskutierten Thema knapp an Tätlichkeiten vorbei, als es beispielsweise über die genaue Beschaffenheit der arianischen Häresie oder die Beziehung zwischen Vernunft und Notwendigkeit bei der Erschaffung der sichtbaren Welt ging, doch Nicholas mit seinem beschwichtigenden Naturell schien stets Blutvergießen abzuwenden zu können.
Wie Nicholas bei den mittellosen Kunden, die sein Geschäft frequentierten, auch noch eine verwitwete Schwester und drei heranwachsende Neffen unterstützen konnte, das wußte niemand recht zu sagen. Doch er genoß überall Achtung. Er war dabei, ein Traktat über die Philosophie zu schreiben, welches nach Beendigung die Beschaffenheit des Universums zur Gänze erklären würde. Aber bei all dem Buchbinden, Kaufen und Verkaufen und ein wenig Kopieren kam die Arbeit langsamer voran, als er gedacht hatte. So geht es immer, dachte Bruder Gregory: Frauen und ein Gewerbe – die hindern einen Mann am Leben des Geistes. Dennoch war es nur schwer vorstellbar, daß Nicholas anders wäre, als er war.
Leichtfüßig umging Bruder Gregory die Pfützen und erreichte fröhlich summend Aldersgate. Es war eine von den alten goliardi , welche sie immer in Paris gesungen hatten, er und seine Freunde, wenn sie sich nach einer ausnehmend kontroversen Vorlesung in irgendeine Schenke gedrängt hatten, um dort weiterzustreiten und zu trinken. Ein Jammer, daß alles so enden mußte, doch selbst als man seine Bücher verbrannte, hatte er nicht bedauert, daß er alles für das Leben eines fahrenden Scholaren weggeworfen hatte. Und dann waren den Behörden ja auch nie seine Gedichte in die Hände gefallen, ebenso wie sie nie herausgefunden hatten, von wem jene freche Abhandlung stammte, in der zwanzig bedeutsame Fehler in den theologischen Schriften des Bischofs von Paris aufgelistet wurden.
Und jetzt, jetzt hatte er die Kontemplation. Welch herrliche Aussichten auf ewige Erhabenheit sie ihm eröffnete! Nicht auszudenken, daß er vielleicht nie gemerkt hätte, daß die Kontemplation seine wahre Berufung war, wenn man damals nicht zur Unzeit mit etwas Schluß gemacht hätte, das er jetzt als gänzlich zu weltliche Leidenschaft für die Gelehrsamkeit erkannte. Was wieder einmal bewies, daß Gott am Ende doch alles zum Besten richtete. Schon bald würde er Gott leibhaftig sehen, und dann würde er zurückkehren, sein ganzes Leben der Kontemplation weihen und von all den Vertracktheiten befreit sein, mit denen das Leben ihm ein Bein stellte. Erstaunlich, in welche Ketten doch das Leben einen Mann schlug. Kein Geld, zuviel Geld, Besitz, Familie – verblüffend, wie das alles eine freie Seele knebelte. Im Grunde genommen verlohnen nur zwei Dinge im Leben, dachte Bruder Gregory glücklich – Freiheit und geistige Arbeit, die beiden sind das Beste von allem. Und damit merkte er, daß er am Ziel war, denn vor ihm, am Ende einer gewundenen Gasse, lag die Tür des kleinen Buchladens von Nicholas dem Buchhändler.
Nicholas begrüßte ihn auf jene stille, irgendwie humorvolle Art, die ihn auszeichnete, und nachdem sie das Binden abgesprochen hatten, verkaufte er ihm Tinte und ein Dutzend Rohrfedern.
»Wie ich sehe, hast du den Ovid schließlich doch noch verkauft«, bemerkte Bruder Gregory mit einen Blick auf die hohen, schiefen Regale, auf denen beinahe ein Dutzend Bücher unterschiedlicher Größe flach ausgelegt waren.
»Zu guter Letzt doch noch, und er hat einen schönen Preis erzielt, wenn man bedenkt, daß du ihn so oft durchgelesen hast, daß du ihn im Kopf haben müßtest«, erwiderte Nicholas. Er war ein schlanker Mann von mittlerem Wuchs, noch keine vierzig und mit schütteren, rötlich braunen Locken, einem kurz gestutzten Bart und intelligenten, spöttischen, grauen Augen.
»Ich glaube nicht, daß ich hier der
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