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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wo der Bruder abgeblieben war.
    »Mein Mann besitzt Bücher«, sagte Margaret.
    »Ach?« erwiderte Bruder Gregory höflich, zählte die beschriebenen Seiten und numerierte sie sorgfältig. »Wer hätte diesem geldgierigen Händler derlei zugetraut?« dachte er bei sich.
    »Er besitzt neunzehn. Sie sind in dieser großen Lade unter Verschluß.« Margaret klopfte auf den geschlossenen Deckel der Lade mit den Eisenbändern dicht bei Bruder Gregorys Sitzplatz. »Einige sind in Latein, andere in Französisch geschrieben. Es gibt auch eins in Deutsch, alles über Gott, und sogar eins in Arabisch.«
    Oho! Wenn das nicht etwas Ausgefallenes war! Bruder Gregory hob den Blick und die Brauen.
    »Ja, Arabisch«, sagte Margaret gleichmütig, obwohl ihr bewußt war, welchen Eindruck sie gemacht hatte. »Mein Mann hat die ganze Welt bereist und findet, daß ein großer Handelsherr viele Sprachen können muß.«
    »Und was ist mit Euch?« fragte Bruder Gregory. Er meinte, auch nach Jahren im Süden noch einen Hauch von nördlichem Akzent bei ihr durchzuspüren. Margaret machte ein betrübtes Gesicht.
    »Ich kann nur meine Muttersprache.« Dann hellte sich ihre Miene etwas auf. »Aber mein Mann hat eine Französin eingestellt, die mich und die Mädchen unterrichtet. Er sagt, Französisch muß jeder können, denn schließlich ist es Hofsprache. Er sagt, über ein kleines werde ich gewiß recht nett Französisch parlieren.«
    »Ich kenne einen Mann mit vierzig Büchern«, bemerkte Bruder Gregory gelassen.
    »Ganz gewiß hat mein Mann auch einmal vierzig Bücher, wenn er Zeit dafür hat«, sagte Margaret hochnäsig.
    Bruder Gregory stand auf und wollte gehen. Margaret nahm die fertigen Seiten und stellte etwas sehr Merkwürdiges mit der große Truhe an. Zunächst machte sie sich an einem Teil des Schnitzwerks zu schaffen, dann drückte sie auf eine Ecke und zog darauf ganz unten aus der Truhe eine vollständige Schublade heraus, deren Kanten unter einer Schnitzerei versteckt gewesen waren.
    »Seht nur, ist das nicht ein herrlicher Platz? Hier ist nämlich eine Geheimschublade, die mein Mann mir gezeigt hat und von der nur er weiß. Das ganze Haus ist voll mit solchen Dingen, und ich kenne nicht einmal die Hälfte davon. Aber diese hier ist leer, und da hat er gesagt, ich dürfte sie benutzen. Genau der richtige Platz für mein Buch, bis es fertig ist, findet Ihr nicht auch?«
    Bruder Gregory nickte ernst und wartete an der Tür.
    »Ach, Euer Honorar für diese Woche. Ich habe es da und habe es auch nicht vergessen. Ich weiß, auch Geistliche müssen essen.«
    Bruder Gregory war peinlich darauf bedacht, ein uninteressiertes Gesicht zu machen.
    »Ihr kommt doch wieder? Übermorgen?«
    »Nächste Woche würde mir besser passen.«
    Vielleicht zahle ich ihm zuviel, dachte Margaret. Wenn es ihm zu gut geht, kommt er nicht wieder. Er hat deutlich genug zu erkennen gegeben, daß es nicht seine Sache ist, für eine Frau zu schreiben. Aber Knausern ist auch nicht recht, wenn eine Arbeit ordentlich ausgeführt wird, seufzte sie bei sich. Master Kendall würde sich meiner schämen, wenn er herausfände, daß ich kleinlich gewesen bin. Sie kramte in der winzigen Börse, die sie neben ihrem Schlüsselbund am Gürtel trug, und zog die Münzen für Bruder Gregory heraus. Er verschwand mit einem stummen Gruß.

    Als man Bruder Gregory in der nächsten Woche hineinführte, stellte er mit einer gewissen, nicht faßbaren Verärgerung fest, daß Margaret es sich in der Fensternische gemütlich gemacht hatte, so als hätte sie gar nichts anderes erwartet, als daß er wiederkam. Neben ihr stand ihr Nähkorb, und sie säumte etwas Umfängliches und Weißes, das sich in großen Falten auf ihrem Schoß bauschte. Offensichtlich hatte ihre Dienerin ihr gerade etwas Lustiges erzählt, denn sie sah auch noch vergnügt aus, als das Mädchen bereits mit einem Stapel gefalteter, fertiger Leinentücher verschwunden war. In der Diele hinter der offenen Tür konnte er Master Kendalls Lehrlinge sich lautstark unterhalten hören. Margaret fing schon an zu reden, ehe Bruder Gregory noch sein Tintenhorn ganz geöffnet hatte, und ihr selbstgefälliger Ton brachte ihn auf.

    Ich glaube, ich habe da aufgehört, wo sich das Verhältnis zwischen mir und Mutter Anne geändert hatte. Nicht lange danach wurde ich verheiratet. Der Frühling zog ins Land, und ich wurde vierzehn, aber das war nicht der Grund, auch wenn ich jetzt als erwachsene Frau galt. In Wahrheit war an allem, was

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