Die Stimme
Disziplin schnell flöten. Sie bedürfen einer festen Hand, wenn man Ergebnisse von Dauer erzielen will. Damit würde ich auch nicht hinterm Berg halten, dachte er, zu ihrem eigenen Besten natürlich, aber wahrscheinlich kann sie sich das nicht ohne so einen kindischen Ausbruch anhören. Mangelnde Demut . Die Krankheit der modernen Welt.
»Man darf wohl nicht erwarten, daß Ihr viel über Dämonen wißt«, sagte er. »Dazu bedarf es eines besonderen Studiums. Beobachtung allein tut es nicht.«
»Mithin habt Ihr viele beobachtet?« sagte Margaret und blickte auf.
»Nur ein, zwei. Aber ich kenne einen sehr heiligen Vater, der recht große zu bezwingen vermag. Von ihm habe ich ein paar nützliche Dinge gelernt.«
»Dann glaubt Ihr also auch, daß der Geist recht hatte und daß Smalls Taten beweisen, daß er ein Dämon war – als er insgeheim all diese Leute umbrachte.«
»Mistress Margaret, Ihr verschlingt die Folgerungen, ehe Ihr Euch über die Prämissen klargeworden seid. Da ist Eurerseits Aberglaube am Werk! Zunächst einmal müßt Ihr herausfinden, ob die Opfer Sünden auf ihrem Gewissen hatten. Pestilenz kann nämlich ein Ausdruck des Willen Gottes sein. Er möchte uns ermahnen, daß wir keinen Wert auf weltliche Dinge legen.«
Bruder Gregory lehnte sich zurück, stützte das Kinn in die Hand und runzelte nachdenklich die Stirn. Lange ließ sich seine Leidenschaft für die Theologie nie unterdrücken und pflegte vornehmlich dann zutage zu treten, wenn er sich mit den Schrecken des Alltagslebens konfrontiert sah. Beim Anblick der zur Schau gestellten, zerstückelten Leiche eines Verräters war es Bruder Gregory zuzutrauen, daß er plötzlich überlegte, in welchem Körperteil wohl die Seele sitzen mochte. Ein gräßlicher Unfall ließ ihn womöglich über den Willen Gottes nachdenken, und einmal, vor langer Zeit, war er in blutbespritzter Rüstung über ein Schlachtfeld voller Leichen spaziert und hatte über die Dreieinigkeit nachgedacht.
Und jetzt wurde er an die Pestilenz erinnert. Eine harte Nuß, denn wie erkannte man darin Gottes Absicht? Männer fielen ihm ein, die vor offenen Gruben, in denen Leichen wie Klafterholz gestapelt lagen, geheult hatten wie die Hunde, und Frauen, die splitterfasernackt durch die Straßen gerannt waren und vor Schmerz gräßlich gebrüllt hatten. Wenn Gott dergleichen aus dem irdischen Jerusalem machte, dann sollte das einen wohl an das Himmlische gemahnen. Doch als er es beinahe beisammen hatte, wurde seine Träumerei von einer ängstlichen Stimme unterbrochen.
»Aber wenn Gott gut ist, würde Er doch gewiß keinen rachedurstigen Mann als Werkzeug benutzen.« Margaret war sehr besorgt.
»Ein Argument, eindeutig ein Argument, das man in Erwägung ziehen muß. Doch damit wäre nicht bewiesen, daß der Mann ein Dämon war. Er könnte genauso gut ein Mensch gewesen sein, der sich dem Teufel verschrieben hat. Für Kaufleute und vornehmlich für Geldverleiher ist da die Versuchung groß. Immer dieses Kaufen und Verkaufen – sie glauben, daß sie besser feilschen können, als gewöhnliche Leute. Zuerst nehmen sie Zinsen, dann betrügen sie rechtschaffene Ritter um ihr Erbgut, und schon bald sind sie so tief gesunken, daß sie Gift in Weinbecher tun. Danach bilden sie sich nur allzu leicht ein, daß sie selbst den Teufel überlisten können. So sind Geschäftsleute nun einmal – zuvörderst keine Ehre. Das macht sie nämlich empfänglich dafür.« Doch die Vorstellung war für Margaret wohl zu komplex, zumindest ihrer begriffsstutzigen Miene nach zu urteilen. Sie biß die Zähne zusammen, legte ihr Nähzeug beiseite und sagte in sehr gelassenem Ton:
»Mir scheint, daß Lewis Small durch und durch selbstsüchtig war und nur an sein eigenes Wohlergehen dachte. Gänzliche Selbstsüchtigkeit ist das personifizierte Böse, nicht wahr?«
»Frauenrede, Mistress Margaret, Frauenrede. Das Wesentliche ist doch, zunächst einmal zu entscheiden, ob das erhängte Mädchen, das ihn als Dämon bezeichnet hat, ein Traum oder schlicht ein Geist war, in welchem Falle man ihr Wort anzweifeln kann; oder ob es zweitens ein warnendes Gesicht von Gott war, wodurch ihren Worten mehr Bedeutung zukäme; oder ob sie drittens selbst eine dämonische Manifestation oder ein Teufel war, was wiederum Einfluß auf die Auslegung ihrer Worte haben würde. Sagt, seid Ihr überzeugt, daß Ihr sie sowohl gesehen als auch von ihr geträumt habt, oder daß ihr sie lediglich gesehen oder umgekehrt, lediglich von
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