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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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zerrte an meinem Umhang und wehte ihn auf, so daß er sich hinter mir aufblähte, als ich mich umdrehte und Moll wütend ansah. Ich stemmte mich ihr entgegen, zog an ihrem Halfter und schrie:
    »Du undankbares Vieh! Ich werde es tun! Und du, du bringst mir jedes Stückchen Holz nach Haus! Auf der Stelle!« Und als in der Ferne der Donner grollte und die ersten, großen Tropfen fielen, da sah mich Moll mit diesem Unschuldsblick an, den Esel zuweilen an sich haben. Dann hob sie den rechten Vorderlauf und prüfte zierlich den Boden vor sich und setzte sich in Bewegung, so als ob sie nie etwas anderes vorgehabt hätte.
    Ich arbeitete also sehr gewissenhaft, um die neue Kunst zu lernen, und da verflogen all meine Zweifel; stattdessen blieb nur noch Bewunderung für Mutter Hildes wunderbare Fertigkeiten. »Siehst du das?« sagte sie dann wohl und hielt etwas Dunkles und Häßliches hoch. »Das ist eine Alraunwurzel, und wenn du die nicht zur rechten Zeit sammelst, ist sie völlig wirkungslos.« Oder sie deutete auf ein formloses Bündel getrockneter Wildkräuter, das vom Dach herabhing: »Das da ist Schafgarbe zum Blutstillen. Und was ist das hier, Margaret?«
    »Fingerhut, Mutter Hilde, aber wozu mag der wohl gut sein?«
    »Er läßt die Knöchel abschwellen, aber man darf ihn nur sehr vorsichtig verwenden, wenn man damit nicht jemand vergiften will.« Und so hielt sie Bündel hiervon und Bündel davon hoch und ließ sie mich riechen und fühlen, damit ich keine Fehler machte: Schwarzwurz, auch Knochenwurz genannt, weil er zum Heilen von Knochenbrüchen gut war; Salbei, um die Melancholie zu vertreiben, und die rote Waldbetonie, die den Teufel fernhält. In mondlosen Nächten wagten wir uns nach draußen, um Wurzeln auszugraben, wir trockneten und pulverisierten Pflanzen, und ich lernte, wie man Balsam und Salben machte. Inmitten ihrer Pflanzen wurde Hilde immer ganz friedlich; sie liebte alle Dinge, die auf Erden wuchsen, und ich glaube, die Dinge wußten darum. So kenne ich beispielsweise niemanden, der besseren Kohl anbaute. Meine rasche Auffassungsgabe freute und beschäftigte sie so sehr, so daß sie nach und nach aufhörte, sich Sorgen zu machen, wer sie begraben würde und sich stattdessen vornahm, weiterzuleben. Zuweilen erzählte Hilde mir von schwierigen Geburten, bei denen sie geholfen hatte, von Mißgeburten, von verzweifelten Frauen, die nach der Geburt eines ungewollten Kindes wahnsinnig wurden und Geschichten von Geisterkindern, die zurückkehrten und in den Häusern herumspukten, wo sie bei ihrer Geburt gestorben waren. Ihre Weisheit schien mir so grenzenlos wie der Himmel.
    Und so sehr vertraute ich ihrem Gespür, daß ich gar nicht erstaunt war, als wir nach dem ersten leichten Schneefall in der Ferne Pferde hörten und wußten, man hatte uns gefunden – und gerettet. Zwei bewaffnete Diener auf Sattelpferden, die einen Maulesel mit leerem Sattel mitfühlten, riefen vor unserer Tür:
    »Jemand daheim? Wir haben Euer Feuer gesehen. Man hat uns nach Hilde, der Wehmutter ausgeschickt, falls sie noch leben sollte.«
    »Ich bin Hilde, Ihr guten Männer«, antwortete sie. »Steigt ab und kommt herein – nur keine Angst, hier im Haus ist alles gesund.«
    »Vielen Dank«, sagte der Ältere der beiden, ein dunkler, vierschrötiger Mann mit Bart. »Wir können aber nicht lange verweilen, denn unsere Herrin ist in die Wochen gekommen, und wir wagen nicht, uns zu verspäten.«
    »Trotzdem braucht Ihr etwas zu essen, während ich das Notwendige packe«, gab Hilde zurück. »Habt Ihr weit zu reiten gehabt?«
    »Einen strammen Tagesritt und einen halben von Mochensie, dabei haben wir uns kaum solange aufgehalten, daß wir ein trockenes Stück Brot und ein Ale zu uns nehmen konnten, Gevatterin.«
    »So weit? Ich hab schon davon reden hören. Hat etwa Lady Blanche nach mir geschickt? Gibt es da nicht eine sehr gute Wehmutter, die viel näher wohnt als ich? Ist also auch die Gevatterin Alice an der Pestilenz gestorben?«
    »Die alte Mutter Alice ist schon noch am Leben, aber Lady Blanche will sich nicht von ihr helfen lassen. Sie hat auf dem Arm ein feuerrotes Mal, das eitert und schält sich. Man hat Angst, sie steht unter einem Fluch, der dem Kind schaden könnte, und so hat man sie fortgeschickt.«
    »Das hört sich nach Antoniusfeuer an«, sagte Hilde kopfschüttelnd. »Was für ein Jammer, die Gevatterin Alice ist nämlich sehr geschickt, und mir ist zugetragen worden, daß Lady Blanche im Kindbett immer große

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