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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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streitsüchtigen Charakter kennenzulernen.
    »Ja, Schreiben ist für mich eine Quelle großer Freude«, sagte Bruder Gregory hochnäsig. »Außer natürlich, wenn man widerrufen muß wie ich, als man mein ›Vom Verständnis‹ verbrannte.« Auf einmal kam die Unterhaltung in ein für ihn unangenehmes Fahrwasser. Der Widerruf schmerzte immer noch, und darum dachte er nicht gern daran. Es paßte zu Margaret, daß sie derlei aus ihm herauslockte. Er war überzeugt gewesen, die vorgebrachten Argumente wären zu klug, als daß man sein Buch unterdrücken konnte, doch ausgerechnet diese übermäßige und gefährliche Klugheit hatte das Interesse hoher Stellen geweckt. Und die öffentliche Bücherverbrennung war eine solche Schande gewesen, daß er nicht nur die Universität, sondern auch die Stadt hatte verlassen müssen. Seitdem hatte er nicht mehr gelehrt. Auch das war eine Sache, deretwegen er ein Hühnchen mit Gott zu rupfen hatte, wenn er Ihn sah.
    »Das ist aber traurig«, pflichtete ihm Margaret bei, als sie sah, wie der gewittrige Ausdruck über sein Gesicht huschte, denn von diesem Donner und Blitz wollte sie nichts abbekommen.
    »Ja, das ist es, ich bin froh, daß Ihr das so seht. Ein Buch ist wie ein Kind! Es zu verlieren, bedrückt sehr! Und außerdem fand ich die mir von meinem Beichtvater auferlegte Buße abscheulich.« Das sah Margaret nun wieder nicht ein. Welcher Mann auf Erden versteht schon, was es für eine Frau bedeutet, ein Kind zu verlieren? Doch war sie so diskret, daß sie nicht weiter nachhakte.
    »Es ist wirklich sehr schade, glaube ich«, nickte sie. Da sie spürte, daß ihr Mitgefühl ihn unachtsam gemacht hatte, setzte sie schlau hinzu, so als käme ihr der Gedanke erst jetzt: »Würde diese mögliche Ausbildung für Frauen auch Lesen und Schreiben beinhalten?«
    »Aber selbstverständlich«, antwortete Bruder Gregory mit einer wegwerfenden Handbewegung. Seine Miene war wolkenlos. Seine Gedanken hatten bereits eine neue Richtung eingeschlagen. »Viele hochgeborene Damen lesen und ziehen daraus viel Nutzen für ihre Seele. Und es gibt, glaube ich, einige Äbtissinnen, die sowohl in Französisch als auch in Latein schreiben können.«
    »Wenn ich schreiben würde, dann nur in meiner Muttersprache«, sagte Margaret.
    »Das versteht sich doch von selbst, denn von zivilisierten Zungen versteht Ihr kein einziges Wort.«
    »Ich will damit sagen, auch wenn ich Latein könnte, würde ich doch in meiner Muttersprache schreiben, denn diese Sprache versteht das Volk am besten.«
    »Das ist eine simple Idee und nur deshalb verzeihlich, weil Ihr eine Frau seid«, lächelte Bruder Gregory milde. »Das Großartige am Schreiben ist zuvörderst die Tatsache, daß man sich damit an andere hehre und gelehrte Geister und Menschen in bedeutender Stellung wendet und sich so Ruhm und Ehre auf ewig erwirbt. Zweitens sind die Menschen, die lediglich ihre Muttersprache verstehen zwar in der Überzahl, doch von niederem Stand und können nicht lesen, noch viel weniger sind sie an erhabenen Gedanken interessiert. Deshalb heißt Schreiben in der Muttersprache, Perlen vor die Säue zu werfen.«
    »Wenn man so folgert, muß es wohl so sein«, murmelte Margaret besänftigend. »Aber sagt mir, glaubt Ihr, daß eine Frau wie ich, gesetzt sie findet einen Lehrer, Lesen und Schreiben lernen könnte?«
    »Aber gewiß doch, das wäre durchaus denkbar.«
    »Womöglich könnte ein in der Geistesschwachheit der Frauen wohlbeschlagener Mann, wie Ihr es seid, mir Unterricht erteilen, soweit ich imstande bin, dergleichen zu verstehen?«
    »Ah! Da habt Ihr mich aber hereingelegt!«
    »Ich verdopple Euer Honorar.«
    »Fürwahr, Madame, Euer Mann ist äußerst nachsichtig mit Euch, was das Geld angeht. Doch ich würde an Eurer Stelle vor einem solchen Wagnis erst einmal seine Zustimmung einholen.«
    »Dann ist es so gut wie abgemacht!« rief Margaret aus und klatschte in die Hände. »Mein Mann hat mir bereits Leseunterricht versprochen, wenn ich meine Französischstunden nicht darüber vernachlässige, denn die hält er für wichtiger.«
    »Dennoch möchte ich die Zustimmung aus seinem eigenen Munde hören, ehe wir mit diesem Unterfangen beginnen.« Beim Anblick von Margarets strahlendem Gesicht mußte Bruder Gregory insgeheim lächeln, denn auch er liebte die Bücher. Liebe zur Gelehrsamkeit, selbst die, zu der eine Frau fähig war, sprach unmittelbar zu seinem Herzen.

    Als Bruder Gregory in der nächsten Woche wiederkam, brachte er

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