Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
für Musiker halten können, mit den weißen Jacketts ihrer Combo, auf deren Taschen das Joch und die Pfeile der Falange aufgestickt waren, mit ihren schmalen, gestutzten Oberlippenbärten und den sorgfältig gezogenen, pomadisierten Scheiteln, damit nur kein Härchen verrutschte. Fachkundig sahen sie zu den Wolken empor, die ab und zu die Sonne verdeckten – was soll’s, solange es nicht regnet –, und feierten die glorreiche Erhebung, die das Land in Trauer und Unglück gestürzt hatte, und die Einweihung des Denkmals für die örtlichen Opfer der roten Horden. Sie verkündeten, jetzt brächen die fetten Jahre an, es müsse nur jeder das Seinige dazu beitragen, und die verdammte Schmuggelei müsse aufhören – was unmöglich war, da ausgerechnet die Uniformierten auf dem Podest (zumindest drei von ihnen, Rubió, Emperança und Dauder) bis zum Oberlippenbart drinsteckten. Die drei nickten zerknirscht, als der Zivilgouverneur und Provinzchef des Movimiento, ein Salmantiner mit Falsettstimme den Schmuggel verdammte, nachdem er zuvor bei Rubió, Emperança und Dauder die Hand aufgehalten hatte, um wegzusehen. Oriol stand, die Hände schützend vor dem Unterleib zusammengelegt, in der ersten Reihe und bemühte sich, stolz dreinzublicken, weil der Bürgermeister seines Dorfes einer der zwölf Weißgekleideten war, die ihren Zuhörern (neunundfünfzig Prozent der Bevölkerung, gewaltsam auf dem Platz zusammengetrieben) erzählten, jeder müsse bereit sein, sein Leben für das Vaterland zu opfern, wie es viele tausend Patrioten getan hatten, die dem Haß der Roten zum Opfer gefallen waren. »Und darum gedenken wir ihrer heute mit diesem bescheidenen, aber großartigen, schlichten, aber kraftvollen Mahnmal.« (»Bravo, recht gesprochen«, sagten Minguet von den Rodas aus Rialb, Càndidovon den Moras aus Bernui, die Báscones vom Tabakladen in Torena, die drei Casas von den Majals,Vater, Mutter und ältere Tochter, ebenfalls aus Torena, Andreu von den Ponas aus Llavorsí und Feliu von den Birulés aus Torena, und ein gutes Dutzend weiterer Hände applaudierte eifrig, auch wenn niemand sich etwas unter einem schlichten, aber kraftvollen Mahnmal vorstellen konnte, wenn sie das affektierte Spanisch des Zivilgouverneurs richtig verstanden hatten.) Pleuropneumonie parietalis, dachte Cecilia Báscones.
    Verfluchte Saubande: Da geben sie einem vierzehn Tage Zeit, um nach einer Zeichnung, auf der praktisch nichts zu erkennen ist, ein Mahnmal anzufertigen, du tust, was du kannst, das Ding ist rechtzeitig fertig, wird erst in einem Jahr bezahlt, und jetzt heißt es, es sei schlicht, aber kraftvoll. Saubande.
    Oriol, in voller Sommermontur, nickte zustimmend und sah zu Senyor Valentí hinüber, der ihn beobachtete. Überwacht er mich? Spioniert er mir nach? Der Redner verkündete soeben, die Ordnungskräfte seien auf dem besten Wege, die Kontrolle über die Berge zu erlangen, und in Sort werde endlich ein Sonderkommando der Guardia Civil eingerichtet, um das Leben der anständigen Bürger vor dem Terror durch eine unkontrollierte Minderheit von Banditen aus den Bergen zu schützen, die es eigentlich gar nicht gab, und die Herzen der Abtrünnigen mit Angst zu erfüllen, mochten sie ihre Treulosigkeit auch noch so gut verbergen. Denn Gott sieht alles, und Gott ist mit uns. Die Kapelle rasselte zustimmend mit den Rumbakugeln und grinste breit, während der Trompeter seine vom kräftigen Solo schmerzenden Lippen betastete, lautlos den Speichel aus der Trompete blies und sich die Lippen anfeuchtete, um wieder loszulegen.
    »Dreh dich nicht um. Leutnant Marcó erwartet dich heute nacht. Um Mitternacht. Es ist wichtig.« Instinktiv wandte Oriol den Kopf. Der Mann flüsterte angespannt: »Nicht umdrehen, habe ich gesagt. Es ist wichtig.«
    Unterdessen ließ sich der Provinzchef des Movimiento weiterhin in C-Dur über Gott aus, und die Ventura stand inder Ecke, die für die Bewohner von Torena reserviert war, blickte starr geradeaus und dachte bei sich, warum bin ich bloß nicht stark genug, unter meinem Kleid ein Küchenmesser zu verbergen und es diesen Kerlen mitten in die Seele zu jagen, lieber Gott, warum habe ich nicht die Kraft dazu.
    Oriol wollte sagen, daß er noch nicht wußte, ob er um Mitternacht dasein werde, weil … Aber der heiße Atem in seinem Nacken war verschwunden. Jetzt wandte er sich um. Hinter ihm standen zwei Damen, die weder aussahen noch klangen, als gehörten sie zum Maquis. Er nutzte die Gelegenheit, unauffällig

Weitere Kostenlose Bücher