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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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müssen uns beeilen.«
    »Ich habe keinen Schlafanzug dabei.«
    Trotz allem mußte die Ärztin lächeln. Sie nahm den Kalender zur Hand, und sie vereinbarten einen Aufnahmetermin. Die Ärztin versicherte ihr, alles sei unter Kontrolle, die Therapie werde nicht allzu aggressiv ausfallen, sie hatten es noch rechtzeitig entdeckt, »ich würde sagen, die Chancen stehen bei über siebzig Prozent, normalerweise gibt es da keine Überraschungen, Sie haben Glück im Unglück gehabt«, und als sie im Taxi mit weit aufgerissenen Augen ins Leere starrte, sagte sie sich immer wieder, es ist schon unglaublich, daß man mir sagt, ich könne noch zufrieden sein. Das Abendessen mit der Mutter war schwierig, vor allem, weil sie die Litanei der gekränkten Großmutter über sich ergehen lassen mußte, deren einziger Enkel fortgegangen war, ohne etwas zu sagen, außer einem kurzen Anruf: »Oma, ich gehe nach Montserrat.« Sie hatte gefragt, »Was soll das heißen, du gehst nach Montserrat?«, und er hatte geantwortet: »Ich werde Mönch.« Die Großmutter hatte gedacht, Arnau macheScherze, und hatte niemandem davon erzählt. Sie hatte nicht einmal ihre Tochter angerufen, weil sie es einfach nicht geglaubt hatte. Und jetzt vernahm sie sprachlos die Bestätigung Tinas, die so dumm war, zuzulassen, daß ihr einziger Enkel sich davonmachte.
    »Mama, fang bitte nicht so an. Es ist nun mal so gekommen.«
    »Das ist alles eure Schuld.«
    Ich weiß schon, daß ich an allem schuld bin, was in der Welt passiert. Mir wäre es auch lieber gewesen, Arnau hätte uns von seinen Träumen erzählt, dann wären wir nicht ebenso überrascht gewesen wie du.
    »Es ist niemandes Schuld. Er hat als erwachsener Mensch eine Entscheidung getroffen.«
    »Ihr habt ihn verzogen.« Sie schwieg lange, düster, dann fragte sie: »Und was macht Jordi?«
    Er geht fremd.
    »Es geht ihm gut.«
    »Und deine Beschwerden?«
    Brustkrebs.
    »Sind schon wieder weg.«

39
    Madame Corine (im bürgerlichen Leben Pilar Mengual) sah die Frau und ihre beiden Begleiter beunruhigt an. Das Gesicht der Dame war unter dem dunklen Schleier kaum zu erkennen.
    »Ist Ihnen klar, daß ich einen Kunden verliere, wenn ich zustimme?«
    »Ihre beruflichen Probleme interessieren mich nicht«, sagte Rechtsanwalt Gasull trocken und tippte ein wenig Asche auf den Teller.
    »Aber mich.« Sie hob die Stimme: »Bilden Sie sich etwa ein …«
    »Sollten Sie sich weigern«, unterbrach Gasull sie sanft, ohne sie anzusehen, und zog an seiner Zigarette, »werden wir die Polizei darüber informieren, daß das Nidito trotz des ausdrücklichen Verbots des Caudillo weiterbesteht, und ihnen die Anschrift geben; wahrscheinlich werden sie als erstes einen Trupp aufgebrachter Falangisten vorbeischicken, der alles kurz und klein schlägt, dann wird die Polizei kommen, natürlich zu spät, und wenn sie hier ist, werden wir ihr erzählen, was letztes Weihnachten mit dem galicischen Mädchen passiert ist.« Er pflückte einen Tabakkrümel vom Mund und lächelte Madame an: »Das ist unser Gegenangebot.«
    Madame Corine erhob sich, bleich vor Zorn, und ging zu einem Schränkchen hinüber. Sie öffnete es mit einem Schlüssel, den sie um den Hals trug, und nahm einen weiteren Schlüssel heraus. Er trug ein Schild mit der Nummer fünfzehn, und Elisendas Herz tat einen Sprung.
    »Zweiter Stock.« Gasull riß ihr den Schlüssel beinahe aus den Fingern. »Und machen Sie um Himmels willen keinen Lärm.«
    Der Dicke zwinkerte mit einem tränenden Auge fast unmerklich der verschleierten Dame zu, und die drei verließen den Salon des Nidito und wandten sich zur Treppe.
    »Ich scheiß auf die feinen Damen, die sind schlimmer als die Nutten«, murrte Madame den Besuchern hinterher. Die drei blieben wie angewurzelt stehen.
    »Was haben Sie gesagt?« fragte der Dicke drohend.
    »Wollen Sie mir vielleicht auch noch verbieten, mich aufzuregen?« So leicht ließ Madame sich nicht einschüchtern.
    »Laßt sie in Ruhe«, befahl Senyora Elisenda und ging zur Treppe. Die beiden Männer folgten ihr, nicht ohne Madame Corine zuvor noch mit dem finstersten Blick aus ihrem Repertoire zu bedenken.
    Gasull steckte den Schlüssel ins Schloß und öffnete. Alle drei traten sofort ein. Senyor Santiago Vilabrú Cabestany praktizierte gerade einen ausgiebigen Cunnilingus an einer jungen, üppigen Frau, die Elisenda sofort als die Recasens erkannte, das Miststück. Tita, die Schwester von Pili, genannt La Milonga.
    Senyor Santiago, nackt und mit

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