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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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und der Leutnant lag, von Panik gelähmt, am Boden), unweigerlich bergab liefen, auf gut Glück in die Buchen hinein, hoffnungsvoll, weil aus dieser Richtung kein Schuß gefallen war. Und nach dreißig zuversichtlichen Schritten flogen sie mit einem Schrei, der von den weiter oben hallenden Schüssen übertönt wurde, in weitem Bogen in die Klamm von Forcallets, und ihre Erinnerungen zerschellten an den weißen Steinplatten am Grund, denselben, aus denen Pere Serrallac der Steinmetz unermüdlich seine Grabplatten schnitt. Als hätten sie es eilig, den Kreislauf zu schließen. Als sehnten sie sich nach der Wärme des eisigen Grabs.
    Oriol schoß sein Mauser leer. Er war sich sicher, zwei oder drei Männer getötet zu haben. Drei. Er verspürte keinerlei Gewissensbisse, denn er sah, wie Ventureta im Rathaus mit großen Augen zu ihm hinüberblickte, in der Hoffnung, der Lehrer sei mutiger, als er war, und werde ihn retten. Und er hörte das panische Keuchen seines Blinkers, des Bauern aus Montardit; am liebsten aber hätte er Valentí Targa vor sich gehabt. Dann hätte er zehn Magazine in sein linkes Auge gefeuert und von nun an ruhigeren Gewissens an Ventureta denken können.
    Am nächsten Morgen zog das Militär nach stundenlanger Suche im schwer zugänglichen Gelände die Bilanz dieser feigen, hinterhältigen Operation der nicht existierenden Guerrilleros, dieser Vaterlandsverräter: sechzehn Gefreite mit eingeschlagenem Schädel am Grunde der Klamm von Forcallets, ein Korporal, der auf dem Weg in die Schlucht am Ast einer Buche aufgespießt worden war, vierzehn Gefreite erschossen, sieben Schwerverletzte und der Rest verstreut, die Gesichter bleich vor Panik und von der Erfahrung, daß es bequemer war zu erfrieren, als eine Nacht allein im Wald und in der Gebirgskälte auszuharren, das Mauser umklammert und die Augen aufgerissen, bis sie schmerzten. Außerdem ein Hauptmann ohne Mund und ein Leutnant, den die Angst und die Aussicht auf den Spießrutenlauf lähmte, der ihn erwartete, weil er nicht einmal eine Verletzung vorweisen konnte, um die Schande seiner Feigheit zu mindern.
    Leutnant Marcó betrachtete den Anführer des Trupps und Oriol Fontelles. Der Generalslehrling und der Schulmeister.
    »Zwölf Männer gegen mehr als achtzig Feinde.« Er sah seinen Mann an: »Tollkühnheit ist keine militärische Tugend.«
    »Wir waren hundertprozentig sicher. Der Ort war ideal.« Er warf einen bewundernden Blick auf den Lehrer: »Der versteht was von Militäreinsätzen. Es war seine Idee.«
    »Sein Platz ist nicht hier«, erwiderte Marcó schroff. Er sah noch düsterer aus als sonst. Dann gab er ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen.
    Sie betraten einen größeren Raum mit einem hölzernen Lattenrost als Boden, der in ärmeren, aber glücklicheren Zeiten dazu gedient hatte, daß das Vieh im Stall diejenigen wärmte, die über ihm vor Kälte zitterten. Zehn dunkle Gesichter sahen ihnen entgegen; sie hatten sie seit Stunden erwartet. Erschöpfte Gesichter. Leutnant Marcó berichtete ihnen ohne Umschweife, warum sie für unzählige Brennpunkte in der Gegend sorgen mußten, so wie diese Nacht, als sie eine ganze Kompanie Militärpolizei aufgerieben hatten. Sie mußten ihre Angriffe vervielfachen, ihnen an allen Ecken und Enden die Hölle heiß machen.
    »Und die Große Operation?«
    »Eine Armee des Maquis wird auf der Halbinsel einmarschieren, um den Faschismus zu stürzen.«
    Schweigen. Das war eine gewaltige, unfaßbare Nachricht für die von der ständigen Flucht zermürbten Männer.
    »So viele Männer hat der Maquis?«
    »Es werden Leute im Ausland rekrutiert. Und hier.« Unwillkürlich sah er zu Oriol hinüber, wandte aber sogleich den Blick wieder ab: »In diesen Wochen ist viel los.«
    Wann würde es losgehen? Wo? Wer befehligte sie? Wie groß waren ihre Chancen? Wie viele würden sie sein? Wie sollte es anschließend weitergehen? Glaubten sie tatsächlich, das Volk würde sich erheben? Wußten sie, daß die Menschen erschöpft waren? Hatten sie bedacht …
    »Ich weiß nichts weiter. Sie haben mir nur befohlen, es euch mitzuteilen.«
    »Und warum schließen wir uns nicht der Armee des Maquis an?«
    »Unsere Aufgabe ist es, ein Pickel am Hintern der Faschisten zu sein, und zwar noch mehr als bisher.«
    Da setzt du dein Leben aufs Spiel, meine Tochter, um ein Pickel am Hintern zu sein. Das also war meine großeAufgabe in diesem Moment: ein riesiger Furunkel am Hintern der franquistischen Armee und aller Faschisten zu

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