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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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umgebracht haben, kurz vor der Invasion des Vall d’Aran, und dann …«
    Cèlia Esplandiu trank einen Schluck Kaffee. Sie überlegte, ob sie fortfahren solle. Sie zeigte auf das Foto: »Mein Vaterwar stark an der Planung der Invasion der republikanischen Armee beteiligt. Aber aus parteiinternen Gründen haben sie ihn dazu abgestellt, den Gegner zu zermürben und abzulenken.« Wieder nippte sie an ihrem Kaffee. »Er war sehr enttäuscht.«
    »Die Invasion ist rasch gescheitert.«
    »Sie hat nur zehn Tage gedauert«, unterbrach die alte Ventura schroff, als sei sie noch immer betrübt darüber. »Aber Joan war einer von denen, die gesagt haben, man müßte einen Guerrillakrieg planen statt eines Frontalzusammenstoßes mit der Armee. Die haben nicht auf ihn gehört, und Sie sehen ja …«
    »Damit vertrat er mehr die Thesen der Anarchisten, nicht wahr?«
    »Ich glaube, ja«, mischte sich die Tochter ein. »Ich verstehe nicht viel davon, aber ich glaube, ja.«
    »Und seine anderen Besuche?«
    Wieder sahen Mutter und Tochter sich an. Die Mutter gab Cèlia ein kurzes Zeichen, still zu bleiben, sie wolle nachsehen, was los war. Sie ging zum Fenster, öffnete es einen Spaltbreit, und eine Hand griff herein. Da stieß die Ventura beide Fensterflügel auf, und geräuschlos wie eine Ginsterkatze sprang Joan Ventura ins Wohnzimmer. Die Ventura und die beiden Mädchen, Cèlia und Roseta, sahen ihn schweigend, hoffnungsvoll und ein wenig furchtsam an, vor allem Roseta.
    »Es ist dein Vater, Roseta.«
    »Alles unter Kontrolle«, sagte er leise. Er umarmte seine Frau flüchtig, viel zu kurz, dann nahm er Roseta in die Arme, die ihm entschlüpfte und zu ihrer Mutter lief, und schließlich Cèlia, die er so lange an seine Brust gedrückt hielt, daß die Ventura den Stich einer seltsamen Eifersucht verspürte. Sie wandte sich von dem Anblick weg zum Herd und füllte einen Teller bis oben hin mit heißer Suppe.Ventura setzte sich zum Essen, als wäre es das Normalste der Welt, mit der Armee der Verlierer fortzuziehen, wobei er der Familie versicherte, erwerde bald wieder zurück sein, sich dem Maquis anzuschließen, wo er wegen seiner genauen Ortskenntnis, die er sich als Schmuggler erworben hatte, bald hochgeschätzt war, die französische Résistance zu unterstützen, zum gefürchteten Leutnant Marcó zu werden, der in seiner Heimat operierte, zu spät zu kommen, als sie seinen Sohn umbrachten, um ihn an der Seite der Seinen zu beweinen, und daraufhin für neun weitere Jahre zu verschwinden, ohne etwas von sich hören zu lassen … und daß ich an dem Tag, an dem er durch das Fenster in mein Leben zurückkam, ohne zu fragen, die Suppe und einen guten Fleischeintopf für ihn bereit habe.
    »Ich dachte, du wärst tot«, sagte sie und trocknete sich die Hände an der Schürze ab.
    »Ich auch.« Er streichelte Cèlia: »Wie groß ihr geworden seid, meine Kinder.« Er durchwühlte seine Tasche, zog ein zerknautschtes Bonbon heraus und gab es Roseta, die nicht wagte, es anzunehmen.
    »Wirst du jetzt für immer hierbleiben?«
    »Nein.« Er sah seine Töchter an. »Ihr seid schon richtige kleine Frauen.Wie alt bist du?« wandte er sich an Roseta.
    »Vierzehn.«
    »Na so was. Vierzehn.« Erstaunt wiederholte er: »Vierzehn?«
    »Warum bist du gekommen?«
    »Sag deinem Cousin, daß ich ihn entschädigen werde, wenn alles vorbei ist.«
    »Manel erwartet keine Entschädigung. Warum bist du hier?«
    Er wisperte ihr zu: »Um Targa zu töten. Ich weiß schon, wie ich es anstellen muß.«
    Gott im Himmel, dachte die Ventura, endlich ist der Tag gekommen, wie kann ich nur meinem Mann helfen,Valentí Targa zu töten, lieber Gott, so daß ich wieder schlafen kann, ohne meinen Joanet vor mir zu sehen, mit der Kugel in einem Auge und der Angst im anderen, weil ich nicht bei ihm war. Oh, du barmherziger Gott …
    »Ich helfe dir.« Streng wandte sie sich an die Mädchen: »Ab ins Bett.«
    Die Mädchen waren zu erschrocken und hoffnungsvoll, um zu widersprechen. Cèlia ging zu ihrem Vater und umarmte ihn. Sie hatte verstanden, darum fragte sie: »Wirst du morgen noch hier sein?«
    »Nein. Aber ich werde nicht lange fortbleiben, jetzt nicht mehr.«
    »Und Sie sind schlafen gegangen?« Erst jetzt probierte Tina den Kaffee. Er war köstlich, genau wie das letztemal.
    »Nein, und Roseta auch nicht. Wir haben uns auf die Treppe gesetzt und alles mit angehört, was sie beredet haben.«
    Tina sah aus dem Wohnzimmerfenster. Aus den Augenwinkeln sah sie, daß der

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