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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Fernseher hinter ihr ohne Ton lief. Durch das Fenster sah man in den Innenhof, einen gepflasterten Garten voller Blumen, die vom Beginn des Frühlings kündeten. An der hinteren Wand hing neben einem Schuppen, in dem wahrscheinlich der Waschtrog stand, ein ausgefranstes, schwarzes Kreuz aus Palmwedeln, in einem Knick in der Mauer stak eine merkwürdige, künstliche Blume, gelb und blau wie ein Tropenfisch. Cèlia stand auf und schaltete den Fernseher aus. Als sie auf ihren Platz zurückging, sah sie durch das Fenster nachdenklich in den Hof hinaus und murmelte vor sich hin, als würde sie den Augenblick noch einmal durchleben, daß sie alles mit angehört hatte, was ihre Eltern sagten, weil sie mit Roseta auf der Treppe gesessen hatte, anstatt ins Bett zu gehen. Alles, was Mann und Frau miteinander besprachen, deren Lebensfreude vom jahrelangen Schmerz so verdorrt war, daß sie gar nicht auf den Gedanken kamen, Zärtlichkeiten auszutauschen. Statt dessen redeten sie gedrängt, denn es war wichtiger, die Kugel aus dem Auge ihres Sohnes zu entfernen, als ineinander zu ruhen.
    »Im Dorf hat er immer noch seine Eskorte dabei.«
    »Das wissen wir. Die anderen haben mir geholfen, ihn zubeschatten, und wir kennen seine Gewohnheiten.« Er sah ihr in die Augen: »Es gibt Zeiten, in denen er unbewacht ist.«
    »Wann?«
    »Wenn er in den Puff geht oder schmutzige Geschäfte macht. Bis hierher haben mir die anderen geholfen. Aber jetzt muß ich allein weitermachen.«
    »Gerade jetzt bräuchtest du am meisten Hilfe, Joan.«
    »Der Maquis hat sich sehr verändert. Jeder sieht zu, wo er bleibt. Mir haben die Leute von Caracremada geholfen.«
    »Warum lassen sie dich jetzt allein?«
    »Weil es eine persönliche Sache ist. Sie können nicht andere Leben aufs Spiel setzen.« Er schwieg, dann gestand er leise: »Ich will ihn mit meinen eigenen Händen töten. Ich will nicht, daß jemand anderes es tut.«
    »Dann helfe ich dir«, sagte die Ventura, ohne zu zögern. »Auch wenn du’s mir verbietest. Ich will den Burés, Cecilia Báscones und all den Majals, die immer von Franco und Spanien und der gottverdammten Falange reden, wieder in die Augen sehen können.«
    »Wenn du so hitzig bist, kannst du mir nicht helfen.« Er schlug sich vor die Stirn und flüsterte, weil er seit Jahren nur im Flüsterton sprach. »Du mußt ganz kalt sein.«
    »Einverstanden. Ich rege mich nicht auf. Kein bißchen. Aber ich will nicht, daß diese Leute glücklich sind, ich will nicht, daß sie lachen oder daß sie denken, sie hätten gewonnen, ich will nicht mehr, daß sie sich unter Targa sicher fühlen, und ich will nicht, daß sie mich verächtlich ansehen, weil ich die Frau von einem bin, den sie Banditen schimpfen. Sie sollen sehen, daß Targa nicht unverwundbar ist.«
    Wie sehr hatte Gloria Carmaniu sich doch verändert. Als ihr Joan sechsunddreißig ohne ein Wort des Abschieds an die Front gegangen war, um die Republik zu verteidigen, hatte die Ventura sich darauf beschränkt, in der Küche zu sitzen, ins Feuer zu starren und darauf zu warten, daß der Krieg zu Ende ging. Der Hunger ihrer drei Kinder hatte sie schließlich aufgerüttelt und auf die Straße hinausgetrieben, wo siein die verwaisten Gesichter der anderen Frauen sah und sich fragte, warum um des heiligen Ambrosius willen, wenn es einen Gott gab,Torena ohne Männer war. Und nun, nach so vielen Toten, sagte sie: »Ich will nicht, daß die anderen mich verächtlich ansehen, weil ich die Frau von einem bin, den sie Banditen schimpfen.«
    »Kümmer dich nicht um diese Dreckskerle. Beachte sie gar nicht und geh deiner Wege.«
    »Nein, wir leben im selben Dorf. Ich kann nicht so tun, als gäbe es sie nicht. Ich helfe dir, wo ich kann. Und laß dir bloß nicht einfallen, nein zu sagen.«
    Leutnant Marcó sah zum Fenster mit den geschlossenen Läden. Er überlegte einen Augenblick lang, seine Gedanken rasten, als befände er sich mitten in einer militärischen Operation.
    »In Ordnung, einverstanden«, sagte er schließlich. »Morgen früh um neun gehst du zu Marés und rufst Valentí an. Du sagst ihm, du wärst die Sekretärin von Senyor Dauder.«
    »Und das war’s?«
    »Nein: Du sagst ihm dies hier.«
    Er zog ein Papier aus der Tasche und gab es ihr.
    »Und du?«
    »Ich werde auf ihn warten.Wenn du tust, was ich dir sage, wird er alleine weggehen.«
    Valentí Targa blickte in die Kamera. Ein Foto. Er rückte seinen Krawattenknoten zurecht. Noch ein Foto. Er sah nach rechts hinüber, zu den

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