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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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In einer kurzen, mitreißenden Rede lobte er die Tugenden seines Vorgängers, des Bürgermeisters Valentí Targa, und versprach, in seinem Sinne weiterzuwirken; dann brachte er sich kurz in die Bredouille, als er andeutete, am Hang von Torre neue Häuser errichten lassen zu wollen. Ein Blick von Senyora Elisenda bedeutete ihm, sie würden schon noch darüber reden, was in Torena zu tun sei, sie habe ihre eigenen Pläne, und so vollzog er eine geschickte Kehrtwendung und sagte, er stehe im Dienste der Gemeinde, der Provinz und Spaniens, und fügte mit glänzenden Augen hinzu,Vivaspaña, äh,Viva Franco und Arribaspaña.
    Das wäre erledigt. Nun zu Don Nazario Prats.
    »Ich habe Ihnen schon am Tag der Beerdigung meines geliebten Gatten gesagt, daß ich den Teil will, der ihm zugestanden hätte.«
    »Den Teil wovon?«
    Im Zivilgouvernement von Lleida hatte die Reihenfolge der Sprechzeiten des Gouverneurs geändert werden müssen, weil eine schöne, aber recht ungeduldige Dame in Don Nazarios Büro gestürmt war, mit einer Anzeige gedroht und auf ihre Freundschaft mit Minister Navarrete verwiesen hatte, bis Don Nazario Prats sie vorließ. Seit zwei Stundensprachen sie nun. Notier dir den Namen dieser Dame, sie scheint wichtig zu sein.
    »Seinen Anteil an der Verschiffung von dreißig Tonnen amerikanischen Milchpulvers nach Malta zu einem horrenden Preis.«
    »Es gibt da ein Problem, Senyora …«
    Seit sie Witwe ist, ist sie noch schärfer. Am liebsten würde ich sie auf der Stelle flachlegen.
    »Was für eines?«
    »Agustín Rojas Pernera.«
    An diesem Montag, dem 30. November 1953 um elf Uhr morgens, bewies Elisenda Vilabrú im Büro des Zivilgouverneurs von Lleida, in dem der Caudillo neben José Antonio an der Wand hing und dem die dunklen Vorhänge vor dem Balkon eine gewisse Eleganz verliehen, daß sie stets meinte, was sie sagte – und ich hoffe, damit ist die Sache ein für allemal erledigt. Unter Don Nazarios beunruhigtem Blick griff sie zum Telefon und verlangte eine direkte Verbindung mit Minister Navarrete, und nach zwei Minuten hörte der erschrockene Zivilgouverneur von Lleida sie sagen: »Hallo, Ricardo, wie geht’s? Ja, danke. Ja, ganz unerwartet, der arme Santiago. Gerade deshalb wollte ich dich sprechen … Ja, eine Geschichte, die er nicht hat zu Ende bringen können. Ein ernsthaftes Problem, ja. Agustín Rojas Pernera, Abgeordneter des Sindicato Vertical für die Provinz Lleida. Nun, er behindert mich. In Ordnung: Wenn er sich verständig zeigt, habe ich nichts dagegen, daß er im Amt bleibt. Danke, Ricardo. Was macht Felisa? Wie schön. Ich vermisse euch auch. Ja, seit San Sebastián ist viel Zeit vergangen, aber ihr habt immer noch Platz in meinem Herzen. Nächste Woche komme ich nach Madrid, ja. Ich warte auf Nachrichten. Auf Wiedersehen, Ricardo.«
    Sie legte auf, sah auf die Uhr und dann zu Gouverneur Don Nazario Prats hinüber. Dann sagte sie: »In einer halben Stunde werden sie uns sagen, daß alles geklärt ist. Sechzig Prozent für mich. Ohne mein Eingreifen wären Sie leer ausgegangen.«
    Die schlaffe, verschwitzte Hand des Gouverneurs lag auf dem Schreibtisch, wo außer einem schweren Aschenbecher nur noch eine prächtige silberne Uhr stand, die von zwei ungebärdigen Elefanten mit stolz erhobenen Rüsseln getragen wurde.
    »Wie viele Minister kennen Sie, Senyora Vilabrú?«
    »Minister und zukünftige Minister. Sind Sie mit fünfundsechzig Prozent einverstanden?«
    Eine halbe Stunde später rief der Abgeordnete des Sindicato Vertical für die Provinz Lleida, Don Agustín Rojas Pernera, Don Nazario an und sagte zerknirscht: »Mein lieber Freund, was für ein schreckliches Mißverständnis. Was dein ist, ist dein, das ist doch selbstverständlich. Natürlich hat Senyora Vilabrú vollkommen recht. Noch heute nachmittag regele ich alles: Ich behalte nur die Kommission von drei Prozent …« Aber Senyora Elisenda, die auf dem anderen Apparat mithörte, sagte: »Agustín, das ist nicht, was dir befohlen wurde.Weder die Kommission noch sonst was, oder ich melde es bei deinem Minister.«
    Weder Kommission noch sonst was. Und siebzig Prozent für sie. Seit diesem 30. November 1953, kurz vor ihrem neununddreißigsten Geburtstag, wußte Elisenda, daß sie den Stil und den Ton gefunden hatte, mit denen sie es im Leben zu etwas bringen würde, wenn sie zu allem entschlossen war. Mit der Vorsicht eines guten Jägers wartete sie ein paar Monate lang, ob sich dieser Dauder rührte. Als sie sicher sein

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