Die Stimmen des Flusses
deine Bosheit geschehen ist.«
»Sie glauben nicht an Gott, oder?«
»Das ist die dümmste Frage, die ich je gehört habe.«
»Wieso?«
»Wie soll eine Mutter, deren Sohn ermordet wurde, an Gott glauben?«
»Entschuldigen Sie, ich wollte nicht …«
»Warum wollen Sie Dinge wissen, die schon lange begraben sind?« fragte Cèlia.
»Der Lehrer.«
»Was wollen Sie mit dem Lehrer?«
»Ich möchte wissen, wie er gestorben ist.«
»Sie will wissen, wie der Lehrer gestorben ist.«
»Und ich möchte wissen, wie Ihr Mann gestorben ist.«
»Mein Mann ist nicht tot. Er ist verschwunden.« Wiedernahm sie die Tasse ihrer Tochter und roch daran. »Zum Glück hat er Valentí lange überlebt.«
»Als ich meinen Vater gefragt habe, ob er am nächsten Tag noch da wäre, hat er gesagt, nein, aber ich werde nicht lange fortbleiben, jetzt nicht mehr.«
»Und war das so?«
Die alte Ventura griff nach der frischgefüllten Tasse ihrer Tochter. Sie schwieg, wartete darauf, was Cèlia sagen würde.
»Ja, er hat die Wahrheit gesagt. Kurz darauf kam er zum dritten Mal.«
Tina bemerkte, daß Mutter und Tochter einander nicht ansahen. Alle drei schwiegen. Plötzlich stieß die alte Ventura ihren Stock auf den Boden: »Was wollen Sie über den Lehrer wissen, den Schweinehund?«
»Seit damals sind siebenundfünfzig Jahre vergangen.«
»Und wenn tausend Jahre vergangen wären, wär er immer noch ein Schweinehund.Was wollen Sie über ihn wissen?«
»Wie er gestorben ist.«
»Ich hab mich gefreut, als ich es gehört habe. Sehr.Weil er Targas rechte Hand war und weil er die Kinder hinters Licht geführt hat.«
»Wissen Sie, wie er gestorben ist?«
»Den Ovidi von den Tomàs haben sie erwischt, weil der Lehrer gehört hat, wie seine Kinder in der Schule erzählt haben, daß der Vater sich bei den Barbals versteckt.« Außer Atem fuhr sie fort: »Und er ist in seiner verdammten Uniform hier auf und ab stolziert.«
»Mich interessiert nur, wie er gestorben ist.«
Die alte Ventura senkte den Kopf.Vielleicht war sie müde. Ihre Tochter ergriff die dürre Hand der Alten und sah Tina an. »Ein Trupp Maquisards hat ihm eines Nachts aufgelauert und aus ihm einen Helden und Märtyrer der Faschisten gemacht. Die letzten dreißig Jahre hatten wir keine Ruhe vor ihm, weil diese widerliche Senyora Elisenda von Casa Gravat, die nichts Besseres zu tun hat, als Gott in den Hintern zu kriechen, ihn heiligsprechen lassen will.«
»Warum?«
»Ach. Das sind Spinnereien von den Reichen. Und ich bin mir sicher, sie wird’s auch schaffen.«
Tina fragte behutsam, ob sie jemanden kannten, der Augenzeuge dieses Todes geworden war, einen der Maquisards, die dabeigewesen waren … Die Alte erwachte aus ihrer Versunkenheit. Sie sah auf den Grund der Tasse ihrer Tochter: »Die Maquisards waren vier Unbekannte. Aber wenn Sie wissen wollen, was passiert ist, fragen Sie doch die von der anderen Seite.«
»Ja … Aber …«
»Der Lehrer und Valentí Targa waren nicht allein. Es waren mindestens noch zwei Sekretäre von Targa dabei. Ich weiß nicht, wie sie hießen.« Sie schöpfte Luft: »Im Rathaus wissen sie’s vielleicht.«
»Aber Mama, wie soll denn …«
»Im Rathaus. Targa hat sie zu Amtsdienern gemacht. Das heißt, wir haben unsere Henker auch noch bezahlt.«
»Oriol Fontelles war gemeinsam mit Ihrem Vater beim Maquis«, sagte Tina zu Cèlia. »Sie nannten ihn Eliot.«
»Eliot war ein Held«, fuhr die Alte auf. »Reden Sie keinen Unsinn.«
»Eliot war der Lehrer von Torena, Oriol Fontelles«, beharrte Tina.
»Verlassen Sie bitte mein Haus.«
Tina stand auf, entschlossen, nicht klein beizugeben. »Und Ventura? Wann kam Ihr Mann zum dritten Mal?«
»Ich hab gesagt, Sie sollen verschwinden.«
Wen interessiert es schon, wer Oriol Fontelles wirklich war? Mich. Mich und sonst niemanden.Vielleicht wüßte es auch seine Tochter gern. Sein Sohn, Joan, wenn er noch lebt. Das stimmt nicht: Auch die Erinnerung will wissen, wer Oriol Fontelles war. Und ich wüßte zu gern, wieso eine langweilige Lehrerin, die Probleme mit ihrer Brust, ihrem Sohn, ihrem Mann und ihrem Gewicht hat, zur Detektivin wird, diedie Spur eines schemenhaften Helden verfolgt, der vielleicht ein Schurke war, und wer die Frau ist, die mir mein Glück geraubt hat.Wieso.
»Gott verzeih mir, wenn es ihn gibt, aber noch nie hab ich einen Grabstein so fröhlichen Herzens gemacht. Hätten wir ihn nur vorher machen können, Jaumet. Du darfst ihm den letzten Schliff geben. Es wird der
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