Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
Vom Netzwerk:
du mir etwa drohen?« Endlich blieb er vor ihr stehen.
    …Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn Sie ein paar persönliche Worte mit General Yuste wechseln und ihm versichern könnten, daß die Gerüchte, die über meine Person und meinen angeblichen Mangel an Patriotismus im Umlauf sind, erstunken und erlogen sind; jeder Grundlage entbehren, ebenso wie die Geschichten darüber, daß ich mich persönlich bereichert haben soll, ich, der ich mein Leben ganz in den Dienst der glorreichen Nationalen Erhebung und unserer glorreichen Bewegung gestellt habe. Diese zweifellos erfolgende Hetzkampagne wird von mir feindlich gesinnten, feindlich gesonnenen Individuen geleitet, die mir meine begeisterte und bedingungslose Treue zum Regime und zum Caudillo neiden, die ich vom ersten Augenblick an uneingeschränkt bewiesen habe. Verdammt noch mal.
    Als Bibiana ihr die Tür öffnete, sah sie sofort, daß sie geweint hatte. Und Elisenda sah sofort, daß Bibiana die Spur ihrer Tränen bemerkt hatte. Sie lächelte und sagte: »Ich habe keinen Hunger, ich werde heute nicht zu Abend essen.« Bibiana erwiderte, »Wie Sie wünschen, Senyora«, und dachte, paß auf, mein Kind, Elisenda, die Welt ist voller Dornen.
    Gott schütze Eure Exzellenz. Verfaßt in Torena de Pallars am 26 . September 1944 , im neunten Jahr des Sieges. Unterzeichnet von Valentí Targa Sau, Bürgermeister und Chef des Movimiento von Torena.Viva Franco. Es lebe die nationalsyndikalistische Bewegung. Arriba España.

49
    Die Kreissäge gab ein schrilles, unangenehmes Geräusch von sich und wirbelte einen Staub auf, der das Atmen in der Werkstatt fast unmöglich machte. Tina sagte hallo, aber Jaume Serrallac, der Mundschutz, Schutzbrille und Arbeitshandschuhe trug, hörte sie nicht und bearbeitete weiterhin die Längsseite eines Grabsteins, auf dem »Familie Gallec aus Tírvia« stand. Tina wartete, bis die Säge keinen Stein mehr hatte, in den sie beißen konnte, und Stille herrschte. Serrallac nahm den Mundschutz und die Brille ab und bemerkte erst jetzt die mollige Frau, die ein paar Tage zuvor die Fotos gemacht hatte.
    »Sagen Sie bloß, Sie haben einen Auftrag für mich.«
    »In gewisser Weise, ja.«
    Serrallac zog seine Handschuhe aus und tastete auf der Werkbank nach der zerknautschten Zigarettenpackung. Er zog eine Zigarette heraus, zündete sie an, richtete seine blauen Augen auf Tina und wartete.
    »Ich möchte die Tochter des Lehrers finden.«
    »Von welchem Lehrer?»
    »Oriol Fontelles.«
    »Die Geschichte läßt Ihnen wohl keine Ruhe, was?«
    Serrallac bat sie in sein kleines Büro, einen aufgeräumten, gemütlichen, geheizten Raum. Ohne sie zu fragen, stellte er zwei Plastikbecher auf den Tisch und tat Pulverkaffee hinein.
    Ich kann ihm nicht nein sagen, auch wenn ich heute nacht nicht schlafen werde.
    »Erinnern Sie sich noch an die Frau des Lehrers?«
    »Nein. Ich war damals noch ein kleiner Junge, und sie … sie waren nur kurz hier.«
    »Sie für ein paar Monate, Oriol ein gutes Jahr.«
    »Ich denke nicht gern an diesen Mann zurück. Dabei war er gar kein schlechter Lehrer.«
    »Er war ein guter Mensch.«
    Serrallac trank einen Schluck Kaffee und durchforstete schweigend seine Erinnerungen, fand aber nichts, was Oriol Fontelles als guten oder schlechten Menschen ausgewiesen hätte. Er sah Tina fragend an und hörte zu, als sie berichtete, daß es einen langen Brief von Fontelles an seine Tochter gab, der seinen Adressaten nie erreicht hatte. Und daß sie dieses Tagebuch seiner Tochter übergeben wollte, damit diese erfuhr, daß Oriol Fontelles kein Faschist gewesen war, sondern ein Maquisard voller Ängste und Zweifel, der gezwungen war, sich als Falangist auszugeben. In der Zeit, die Serrallac brauchte, um seine Zigarette zu rauchen, war das letzte Jahr im Leben von Oriol Fontelles erzählt, wie ein Bindestrich zwischen zwei Zahlen auf einem Grabstein.
    »Wie kommt es, daß niemand je davon erfahren hat?«
    »Weil er ein effizienter Maquisard war. Niemand durfte davon wissen.«
    »Und wenn er sich das alles nur ausgedacht hat?«
    »Wozu? Was hätte er davon gehabt? Wenn er wirklich Falangist gewesen wäre, warum hätte er dann etwas erfinden sollen, was ihm nur schaden konnte?«
    »Um die Geschichte umzuschreiben. Ich weiß nicht, wenn ich eine Inschrift mache, die sagt, Held des Widerstands gegen den Franquismus, und das auf seinen Grabstein meißle, dann habe ich schon die Geschichte verändert.«
    »Das wäre ein Schritt.«
    »Ja, aber ich habe

Weitere Kostenlose Bücher