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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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zeigte auf die schwarzen, hölzernen Stühle, den nutzlosen Tisch, das kleine Sprechzimmer, in dem sie saßen, die plumpe Imitation eines Joaquim Mir vor ihr an der Wand, die irgendeinen Winkel von Montserrat darstellen sollte. Eigentlich wußte sie nicht genau, was sie damit sagen wollte, aber es war klar, daß dies kein Ort war, an dem man sich heimisch fühlen konnte. Sie war gekommen, um ihren Sohn zu sehen, und nun fühlte sie sich auf Besuch.
    Arnau nahm ihre beiden Hände und sah ihr in die Augen: »Es gibt keine Barriere, Mutter.«
    »Sicher betest du für meine Bekehrung.«
    Sofort bereute sie ihre Schärfe. Er hingegen setzte zu einem Lächeln an, wurde dann ernst, nachdenklich und antwortete schließlich mit jener Sicherheit, die sie nie besessen hatte: »Es steht mir nicht zu, deine Sichtweise der Dinge ändern zu wollen. Wenn ich für dich bete, dann dafür, daß du weiterhin der gute Mensch bleibst, der du bist.«
    Verdammter Mönch, der stets die liberalsten, tolerantesten, intelligentesten, schlüssigsten und beruhigendsten Antworten zur Hand hatte, als hätte er alles gründlich studiert und bemessen. Als läge das ganze Leben auf der Karte der Wahrheit verzeichnet vor ihm, und er müßte sie nur aufschlagen, um sie im Zweifelsfall zu Rate zu ziehen. Und immer hatte er eine Antwort, nie einen Zweifel, weil er in Gottes Mannschaft spielte.
    »Ich würde ja gerne an Gott glauben.Wie erholsam wäre das, wenn ich an ihn glauben könnte …«
    Arnau war zu klug, darauf zu antworten. Er schwieg, sicher, weil er sie verstand. Sie fuhr fort: »Aber das mit Gott ist ein unlösbares Rätsel.«
    »Nicht für mich. Rätsel bedeutet Beweise, die Suche nach einer Lösung, die Lösung des Problems … Für mich ist Gottein Geheimnis, das ich nur durch den Glauben angehen kann.«
    »Du brauchst keine Beweise?«
    »Der Glaube nährt sich vom Glauben, nicht von Beweisen.«
    »Und du bist mein Sohn?«
    »Ich dachte schon.«
    Sie schwieg, weil sie einfach nicht wußte, was sie sagen sollte. Aber die Stille war ihr unangenehm, und ihr Unbehagen wuchs, als sie merkte, daß Arnau völlig gelassen blieb. Nur um die Stille zu durchbrechen, fragte sie: »Ist dir hier kalt?«
    »Nein.«
    »Brauchst du keine Wäsche? Bekommt ihr was Anständiges zu essen?«
    »Was macht Jordi?«
    »Dein Vater weiß nicht, daß ich hier bin.«
    »Und warum soll er es nicht wissen?«
    »Weil ich nicht von zu Hause komme.« Es gelang ihr nicht, ihre Gereiztheit im Zaum zu halten: »Denk jetzt nichts Falsches.Wußtest du, daß er zum Stadtrat gewählt worden ist?«
    »Ja. Er hat mir vor ein paar Tagen geschrieben.«
    Das hatte Jordi also sofort loswerden müssen. Hat er dir sonst noch was gesagt? Hat er dir erzählt, daß er mich betrügt?
    »Der alte Stadtrat ist zurückgetreten, dein Vater war auf Platz sechs der Liste, und es hat geklappt!«
    »Freut er sich darüber?«
    »Ich nehme es an. Ich sehe ihn wenig in letzter Zeit.« Sie wechselte das Thema: »Ist das Essen hier gut?«
    »Sehr gut. Mach dir darum keine Sorgen.«
    »Ich sorge mich um deine Gesundheit.«
    »In der Bruderschaft gibt es acht Mönche, die über achtzig sind.«
    »Willst du wirklich dein ganzes Leben in diesen Wänden hier verbringen? Bis du achtzig bist? Bis du stirbst?« Siewußte, daß sie unfair wurde: »Und die Welt? Die Erfindungen, der Fortschritt, die Landschaft, die Filme, die Bedürfnisse der Armen, deine persönliche Entwicklung?« Und nach einer maliziösen Pause: »Und die Frauen?«
    Arnau nahm wieder ihre Hände: »Mutter, das ist kein Opfer. Ich bin glücklich, ich bin ruhig, und ich möchte nicht, daß du dir um mich noch länger Sorgen machst: Dein Sohn ist glücklich, das können weiß Gott nicht alle Mütter von sich behaupten.«
    »Bin ich zur falschen Zeit gekommen?«
    »Nein, woher denn! Überhaupt nicht. Heute in drei Wochen gibt es ein Fest … Wenn ihr kommen wollt …«
    »Was für ein Fest?«
    »Eine Eucharistiefeier für die Angehörigen der Mönche des Ordens. Ich weiß schon, daß …«
    In drei Wochen werde ich im Krankenhaus liegen, und sie werden versuchen, mich mit Hilfe von Chemotherapien und ähnlichem dem Tod zu entreißen.
    »Bekommen wir eine Einladung?«
    »Nicht, wenn ihr nicht kommen wollt.«
    Tina betrachtete die Imitation des Mir. Den Blick auf das Bild an der Wand geheftet, sagte sie: »Wer sagt, daß wir nicht kommen wollen?«
    »Ich dachte nur, die Messe und das alles …«
    Ich habe Angst, Arnau. Ich habe Angst zu

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