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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Zwischen Uhr und Balkontür stand eine Kommode, in deren Schubladen zahlreiche Urkunden bezeugten, daß in diesem Haus acht Generationen von Vilabrús gelebt und ihr Vermögen und ihre Ländereien gemehrt hatten. Auf der Kommode standen achtzehn Fotografien in Erinnerung an die beiden Menschen, in deren Gedenken das Haus und seine Bewohner lebten. Senyor Anselm Vilabrú in Hauptmannsuniform mit seinem Sohn Josep, Anselm Vilabrú mit einem dunklen, angriffslustigen Schnauzbart, Josep mit verträumter Miene, neben den beiden eine nachdenklich dreinblickende Elisenda. Die Geschwister in verschiedenen Altersstufen. Elisenda als junges Mädchen, allein. Oriol strich mit einem Finger über den Rahmen dieses Fotos: Ihr ovales Gesicht mit der geraden Nase und den lebhaften Augen war damals schon so vollkommen wie heute. Die Augen würden schwierig werden. Auf dem größten Foto, das einen Ehrenplatz innehatte, sah man den Hauptmann a.D. Anselm Vilabrú, zurück im zivilen Leben, und seinen Sohn Josep, der jetzt ein stolzer junger Mann war, im Garten von Casa Gravat. Sie saßen am Tisch, tranken Tee und blickten forschend in die Kamera. Vier Tage zuvor hatten sie die Felder von Boscosa erworben. Senyor Anselm war entschlossen, eine schöne Stange Geld zu machen, um sich dafür schadlos zu halten, daß der König ihm das Adelspatent entzogen hatte. Doch kurz darauf würde eine Horde Anarchisten aus Tremp unter der Leitung von Lehrer Cid sie beide zum Hang von Sebastià unterhalb des Friedhofs schleppen, am hellichten Tag, Bibiana, das können nur Bringué und die anderen beiden angezettelt haben, wieheißen sie bloß, die haben uns verraten, woher hätten die aus Tremp das wissen sollen, die haben sie geholt, Bibiana, und ich schwöre dir, sie werden mir für diese Morde büßen. Sei still, du bist noch ein Kind. Ich denke nicht daran, den Mund zu halten, Bibiana.
    Und dann gab es noch ein paar Fotos aus Anselm Vilabrús Militärzeit. Auf einem von ihnen sah man den Hauptmann mit seiner Offiziersmütze mit den drei Sternen, neben sich zwei besiegte Rifkabylen. Er blickte zufrieden in die Kamera, wie ein Jäger, der seinen Fuß auf den erlegten Hirsch setzt. (Wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, daß die beiden Marokkaner die Hände auf dem Rücken hatten.) Josep hatte Elisenda im Flüsterton erzählt, daß die Hände der beiden Moros nicht zu sehen waren, weil man sie ihnen zusammengebunden hatte; sie waren Gefangene, und nachdem das Foto gemacht war, hat Papà sie erschießen lassen. Er selbst hat ihnen den Gnadenschuß versetzt, aber das darfst du niemandem erzählen, und sag auch Papà nicht, daß ich’s dir erzählt habe, sonst bringe ich dich um. Und Elisenda schwieg für immer, und jetzt stellte Oriol das Foto auf den Tisch zurück, ohne das Geheimnis zu kennen.Warum gab es kein Foto der Mutter? Hatte Senyora Elisenda keine Mutter? Und war auch der Ehemann kein Foto wert?
    Die Uhr schlug sechs; draußen begann es zu dunkeln.
    »In diesem Dorf gibt es viele Dreckskerle, mußt du wissen«, hatte ihm Senyor Valentí Targa an dem Tag gesagt, an dem er seine Einstellungspapiere unterschrieben hatte.
    »Ich bin Lehrer und kümmere mich um meine Arbeit.«
    »Du bist Lehrer und alles, was ich dir sage.«
    Der Bürgermeister hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Oriol, der vor ihm stand, merkte zum ersten Mal, daß ihm angesichts Senyor Valentís die Knie zitterten. Er erwiderte nichts, und der Bürgermeister bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, sich zu setzen. Dann erklärte er ihm: »In Torena sind schlimme Dinge passiert, solange das Vaterland im Sumpf der kommunistischen, separatistischenRevolution versunken war, die die heldenhafte Erhebung notwendig gemacht hat.«
    »Was für Dinge?«
    Oriol betrachtete die Wand hinter dem Bürgermeister. Franco im dicken Feldmantel rechts und José Antonio mit Pomade im Haar und dunklem Hemd links, in der Mitte der Gekreuzigte mit bedrückter Miene, wie in der Schule. Senyor Valentí drehte sich eine Zigarette.
    »Mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Sie will nicht darüber reden.«
    »Wer ist sie?«
    Senyor Valentí Targa sah ihn einen Augenblick lang verdutzt an, dann stellte er klar: »Senyora Elisenda Vilabrú.«
    Seine Stimme klang rauh, mühsam beherrscht: »Sie haben sie am zwanzigsten Juli abgeholt; eine Bande von Roten und Anarchisten aus Tremp. Hast du schon mal von Máximo Cid gehört? Nein? Ein Lehrer wie du, aber ein Mörder. So mörderisch, daß ihn später seine

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