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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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der König hörte, wie seine Berater ihm sagten ›Aber Majestät, das sollte die Heeresführung wissen‹, hat er wieder mit dem Zeigefinger auf Al-Hoceima gepocht und gesagt: ›Hier‹, und die Berater haben einander erschrocken angesehen und wußten nicht, was sie tun sollten, und darum ist der König, der mir obendrein zur Strafe die Baronie entzogen hat, mein Feind, und ich finde es großartig, daß ein angesehener, schneidiger Soldat vom Schlage eines General Primo de Rivera Ordnung in unser verkommenes Land bringt. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
    Hauptmann Anselm Vilabrú hatte auf der Militärakademie gelernt, sich selbst gern reden zu hören, und im Laufe der Jahre sein rhetorisches Geschick noch gesteigert. Jetzt war er zufrieden mit dem Ergebnis seiner Rede, vor allem, weil ermerkte, daß sein patriotischer Eifer auf seinen Bruder doch Eindruck gemacht hatte. Und so setzte er noch eins drauf: »Wann immer ein fähiger Militär Ordnung in dieses Chaos bringen will, kann er auf mich zählen.«
    Hochwürden August rang nach Worten. Schon lange hatte er sich in Gegenwart seines kleinen Bruders nicht mehr so unwohl gefühlt wie an diesem Nachmittag. Aber er wollte sich nicht geschlagen geben, und so entgegnete er schließlich ruhig: »Ich mag das Militär nicht.«
    »Vater hat bestimmt, daß ich zum Militär gehe und daß du Priester wirst.«
    Hochwürden August sah seinem Bruder in die Augen: »Und ich mag die nicht, die den König herabsetzen.«
    »Weißt du, was das Schlimmste daran ist? Daß die Schlacht von Igueriben, die über dreihundert Männer das Leben und mich nebenbei meine Karriere gekostet hat, vermeidbar gewesen wäre.«
    »Wir sind nicht dazu geschaffen, die große Politik zu verstehen.«
    »Und weißt du, was noch schlimmer ist?«
    »Dein Herz ist voller Haß. Und schuld an diesem Haß ist nicht der König, sondern Pilar.«
    »Als man mir in Igueriben befohlen hat, die dritte Kompanie vorrücken zu lassen, wußte ich schon, daß mehr als die Hälfte von uns fallen würde. Aber wir sind vorgerückt, weil ein Soldat immer gehorcht.«
    »Möge Gott dir vergeben, Anselm. Verzeih mir die Einmischung, aber seit Pilar …«
    »Aus welchem Jahr ist dieses Foto?« fragte Oriol, nur um etwas zu sagen.
    »Neunzehnhundertvierundzwanzig«, las sie vom Foto ab. »Das Jahr, in dem mein Vater das Militär verließ und wir hierher zurückkamen.«
    »Und Ihre Mutter? Wieso ist sie nicht …«
    »Letztes Frühjahr ist Onkel August aus Rom zurückgekehrt. Da er Kanoniker ist, lebt er in La Seu d’Urgell, aberer kommt mich oft besuchen. Er bezeichnet sich gern als meinen Mentor.«
    »Ist er das denn?«
    »Ja. Natürlich.«
    »Sprechen Sie weiter.«
    »Er ist ein Gelehrter.«
    »Wieso sagen Sie das?«
    »Er hat ein paar Bücher über Algebra und ähnliches geschrieben und ist im Ausland hoch angesehen.« Sie lächelte unbehaglich: »Warum soll ich weitersprechen?«
    »Wenn Sie es nicht tun, wirken Sie so steif.«
    Nun war sie es, die ihn auszufragen begann. »Haben Sie Ihre Lehrerausbildung schon lange abschlossen?«
    »Vor dem Krieg.«
    »Wissen Sie, was mir gefallen hat? Daß Sie so viele Bücher zu Hause haben. Daß Sie …«
    »Ach, das ist doch ganz normal. Und so viele sind es nun auch wieder nicht.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Achtundzwanzig.«
    »Ach, da sind wir ja gleich alt.«
    Sie hat mir gesagt, wie alt sie ist. Ich hätte sie auf zwanzig geschätzt. Achtundzwanzig. Und wo ist ihr Mann?
    »Wie hat das mit der Malerei angefangen?«
    Gibt es diesen Senyor Santiago wirklich, oder hast du ihn nur erfunden, um lästige Verehrer fernzuhalten?
    »Ich hatte eine gewisse Begabung dafür, und so habe ich während des Krieges an der Kunstakademie Unterricht genommen.«
    »In Barcelona?«
    »Ja, Ich komme aus Poble-sec. Kennen Sie Barcelona?«
    »Ja, natürlich. Ich bin dort zur Schule gegangen.«
    »Wo?«
    »Bei den Theresianerinnen in Bonanova.«
    Er warf ihr einen raschen Blick zu. Die Theresianerinnen in Bonanova. Die gleiche Stadt, aber eine andere Welt. Erspürte, wie sein Mund trocken wurde. Sie fuhr fort: »Sie haben mich unter der Führung von Onkel August geistig und spirituell geprägt, denn mein Vater war nie da, er hat immer gedient.«
    Und die Mutter?
    »Ich habe die Schule in schlechter Erinnerung. Sie war in einer dunklen Etage im Carrer Margarit …«
    »Ich nicht, ganz im Gegenteil. Und wenn ich nach Barcelona fahre …»
    »Haben Sie eine Wohnung dort?«
    »Ja, selbstverständlich.

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