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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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herkommen. Und zwar fix.«
    »Und dann?«
    »Ich weiß es nicht mehr. Schüsse. Anscheinend hat ein Trupp Maquisards das Dorf überfallen. Die Leute haben sich zu Hause eingeschlossen. Ich weiß es nicht. Ich war noch sehr … Und als ich das alles hätte erfahren können … da habe ich …«
    Tina schien, als denke er an etwas Trauriges. Dann entschied Serrallac, sich nicht mehr zu erinnern.
    »Mich hat die Jugend erwischt, als ich einfach noch zu jung war.«
    Obwohl Tina Serrallac aufmerksam zuhörte, konnte sie nicht verhindern, daß sie auf jede noch so kleine Bewegung Jordis achtete, der drei Tische weiter saß. Jetzt wischte Jordi sich mit der Serviette die Lippen ab, stand auf, und anstatt ihr zu sagen, »Tina, laß uns darüber reden, es tut mir leid«, ginger an die Theke, zahlte und verließ das Restaurant, ohne sich umzusehen, als wäre er nie ihr Mann gewesen. Sie mußte an sich halten, um ihm nicht hinterherzulaufen und zu sagen, Jordi, wo wohnst du, hast du eine Unterkunft gefunden, brauchst du Wäsche, möchtest du Käse, vergiß nicht, Gemüse zu essen, in vierzehn Tagen mußt du zum Homöopathen, schreib dir’s auf …
    Am Morgen hatte sie Jaume Serrallac aufgesucht, damit er ihr die letzten Papiere von Oriol zurückgab und ihr sagte, was er davon hielt. Im Grunde genommen wollte sie, daß er ihr von dem Haß erzählte, der in Torena herrschte.
    Serrallac führte sie in sein Büro. Am anderen Ende der Halle meißelte jemand kraftvoll ein Leben in eine Grabplatte. Da die gleichmäßigen Schläge ihn am Denken hinderten, stand er plötzlich auf und ging in die Halle.
    »Ich bin heute nachmittag zurück, Cesc!« Er zog einen Zettel aus der Tasche, sah ihn sich an und rief: »Um drei kommt jemand und holt die Pflastersteine für den Platz von Tírvia!«
    Dann steckte er den Kopf durch die Bürotür und sagte: »Ich lade dich zum Mittagessen ein.«
    Als Serrallacs Wagen in das Tal von Cardós einbog, fragte Tina: »Wohin fahren wir?«
    »In ein Gasthaus in Ainet, wo man wunderbar ißt.« Ausgerechnet in das Gasthaus von Ainet.
    »Überallhin, Jaume, aber nicht in das Gasthaus von Ainet!«
    Serrallac hielt am Straßenrand an und sah sie an, aber es war klar, daß sie keinerlei Erklärungen geben wollte.
    »Was hältst du von Rendé?«
    »Wunderbar.«
    Serrallac wendete den Wagen und fuhr zurück nach Sort. Es war, als hätte Rendé einen direkten Draht zu Gott: Der erste Mensch, den Tina im Restaurant erblickte, war Jordi, der seit weniger als vierundzwanzig Stunden ihr Exmann war. Er saß allein an einem Tisch in der Mitte, und sie dachtedaran, wie sie am selben Tisch zum ersten Mal hier gegessen hatten, vor zwanzig Jahren, als wir noch glücklich waren, du und ich. Da hätten wir auch ins Gasthaus von Ainet gehen können.
    »Ist was?« fragte Serrallac, bereit, erneut das Restaurant zu wechseln.
    Es war nichts. Sie gingen zu dem Tisch in der Ecke. Als sie an Jordi vorbeikam, grüßten sie einander nicht einmal, und Tina dachte, jeder müsse bemerken, daß sie nicht miteinander redeten, so wie jeder vor dreiundzwanzig Jahren gesehen hatte, wie sie auf der Straße das erste Mal Händchen hielten. Dann fiel Tina ein, daß Jordi glauben mußte, Serrallac sei ihr Liebhaber, weil er immer so etwas dachte, und sie musterte Serrallac kritisch, fand ihn aber, offen gestanden, zu alt. Und nun ging Jordi, ohne sich nach ihr umzusehen. Du bist schön blöd, daß du dir Gedanken um ihn machst.Wenn er ein Bett hat, hat er ja wohl auch ein Dach über dem Kopf. »Was? Entschuldige bitte.«
    »Ich sagte, du bist eine traurige Frau.«
    »Ich?«
    Serrallac sah auf den Teller, der soeben vor sie hingestellt worden war. Ohne um Erlaubnis zu fragen, legte er schützend seine kräftige, rauhe Hand auf Tinas Hand und ließ sie dort für einen Augenblick liegen, als spüre er, daß Tina so etwas brauchte. Bevor Tina die Initiative hätte ergreifen müssen, hatte er sie schon wieder zurückgezogen.
    »Diese Lammwurst sieht köstlich aus.« Er zeigte auf den Teller.
    Natürlich bin ich traurig, aber die Traurigkeit hat mir noch nie den Appetit verschlagen, deshalb bin ich so gut beisammen.
    »Mein Mann war gerade hier.«
    »Hoppla, und wie kommt es, daß du nicht …«
    »Wir haben uns vor weniger als einem Tag getrennt.«
    »Das tut mir leid.« Er sah sie an: »Deshalb bist du traurig.«
    »Ich weiß es nicht. Woher weißt du so viel über die Vilabrús?«
    »Bei meiner Arbeit erfährt man viel über die Familien, aber wenig

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