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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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habe aus Rache einen Mann getötet, ich habe Valentí Targa getötet, und ich bin nicht etwa stolz darauf, meine Tochter. Aber ich habe es für Deine Mutter getan, und für die Mutter von Ventureta. Auf dem Motorrad hatte ich das Gefühl, allmählich die Haut der Feigheit abzustreifen, die mich umgab, und es war mir egal, zu wissen, daß mich niemand vor der Garrotte würde retten können, wenn sie mich entdeckten. Nach meiner Ankunft in Torena – es war Abend und schon dunkel – legte ich als erstes die Pistole an ihren Platz zurück, ungeladen, weil ich nicht wußte, wo der Tote die Kugeln aufbewahrte, und dann kehrte ich auf einen Kaffee bei Marés ein und erzählte wie nebenbei, ich sei gerade aus Lleida zurückgekommen. Modest wischte mit einem Tuch über den blitzsauberen Marmor und sagte dann: »Gerade eben hat Senyor Valentí für Sie angerufen.«
    »Was?« Die Panik saß in seiner Kehle.
    »Na, wie ich gesagt habe. Kaffee mit Schuß?«
    »Der Bürgermeister?«
    »Ja. Vor etwa einer Stunde. Er hat nach Ihnen gefragt.«
    Oriol war schreckensstarr, innerlich schwitzte er vor Angst.
    »Sind Sie sicher, daß er es war?« fragte er betont beiläufig.
    »Warum sollte er es nicht gewesen sein?« fragte Modest und stellte ihm das Glas hin: »Fragen Sie Cinteta von der Telefonzentrale.«
    Statt zur Tuca Negra zu fliehen, statt sich im Wald zu verstecken, trank er seinen Kaffee. Es tat ihm nur leid, daß er die Pistole zurückgelegt hatte, daß er sich so dumm angestellt hatte, daß sie nur einen der Gäste oder die Zuckerpuppe zu befragen brauchten, um seine Beschreibung zu erhalten, und daß Valentí Targa und seine Männer ihm sicher schon auf den Fersen waren. Es tat ihm leid, daß ihm nur noch so wenige Stunden zu leben blieben. Und es tat ihm in der Seele weh, daß er nicht den Mut besessen hatte, zu Elisenda zurückzukehren und ihr vorzuwerfen, du hast mir versprochen, daß Ventureta nichts geschehen würde, und ihr zu sagen, ich habe dich so lange nicht gesehen, und in ihr zu versinken, in diesen Armen, die er so gut kannte, weil er sie gemalt hatte. Eine unmögliche Sehnsucht nach einer unerreichbaren Frau. Er trank den Kaffee in einem Zug aus, zwinkerte Modest zu und schnalzte mit der Zunge, als wäre er zufrieden.
    Als er Casa Marés verließ, stand der Abendstern im kalten Westen, und er spürte den Schauer des Todes.
    Zur selben Zeit zerriß Bibiana in der Küche von Casa Gravat einen Brief in winzige Fetzen, den sie hatte abfangen können, als er am Morgen angekommen war. Ein gewisser Joaquim Ortega schrieb darin an Senyor Anselm Vilabrú Bragulat: »Meine geliebte Frau ist kürzlich gestorben, und ihrem Letzten Willen entsprechend, schicke ich Ihnen diese Zeilen, um Ihnen mitzuteilen, daß Pilar es nicht bereut hat, Sie rechtzeitig verlassen zu haben, da sie bei Ihnen nur Gleichgültigkeit, Verachtung und bösen Willen erfahren hat. Ich soll Ihnen ausrichten, das einzige, was sie bereut habe, nachdem wir uns glücklich in Mendoza niedergelassen hatten (wo es mir übrigens nie an Theaterengagements gefehlt hat), sei gewesen, daß sie den Kontakt zur kleinen Elisenda und zu Josep verloren hat, die jetzt sicher schongroß sind. Ich bitte Sie, den beiden zu übermitteln, wie ihre Mutter für sie empfand, denn schließlich waren es ihre Kinder.« Wie konnte das diese Frau nur sagen, dachte Bibiana, wo doch sie selbst sie an jenem windigen Sonntagmorgen abgefangen hatte, als sie sich mit dem Koffer in der Hand und dem für sie typischen Ungeschick durch die Hintertür davonstehlen wollte. Bibiana war von einem Geräusch erwacht und hatte nachsehen wollen, was los war, und sie hatte ihr gesagt: »Senyora, denken Sie an Ihre Kinder, die sind doch noch so klein«, und Senyora Pilar hatte sie hart angesehen und gesagt: »Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen, ich habe die Nase voll von plärrenden Bälgern und von der Gleichgültigkeit und Verachtung meines Mannes, also tritt zur Seite und laß mich einmal im Leben dem Ruf der Liebe folgen«, und Bibiana mußte zur Seite treten und konnte Senyor Anselm nicht warnen, denn der war seit zehn Tagen auf Maurenjagd. »Das können Sie dem Mädchen nicht antun«, sagte sie als letztes Mittel. »Und mein Leben, Bibiana?« Beinahe unter Tränen hatte Senyora Pilar gesagt, »Öffne mir die Tür, oder ich bringe dich um«, und Bibiana hatte die Hintertür geöffnet und gesagt: »Mögen Sie für immer verflucht sein, Senyora.« So war Pilar Ramis von den

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